: „Die erste Schuld hat der, der schweigt“
■ Türkische Betriebsangehörige fühlen sich nur auf dem Werksgelände sicher/ Hoesch-Betriebsrat fordert Entlassungen und Telefonketten gegen Rassismus
Bald wäre Mustafa Güngör ein Deutscher geworden. Das aufwendige Einbürgerungsverfahren stand kurz vor dem Abschluß. Aber nach den Morden von Mölln will Mustafa Güngör nicht mehr. „Dem Papier nach Deutscher zu sein, macht für mich keinen Sinn mehr.“ Ein deutscher Paß würde ihn nicht vor dem rechten Terror schützen. Persönlich hat Mustafa Güngör noch keinenerlei Übergriffe erlebt, „aber auch ich rechne in Zukunft damit“.
Mustafa Güngör, Mitte vierzig, arbeitet seit 27 Jahren bei Opel in Bochum, vor zwei Jahren wurde er in den Betriebsrat gewählt. Rassismus ist kein Thema im Betrieb. „Das Klima zwischen Deutschen und Ausländern ist noch in Ordnung, das ist noch gut.“ Vor den Opel-Werkstoren indes spüren die ausländischen Beschäftigten das veränderte gesellschaftliche Klima. Güngör kennt türkische Familien, die den lang geplanten Hauserwerb aus Sorge um die künftige Stimmung in Deutschland zurückstellen. „Und manche wollen jetzt tatsächlich in die Türkei zurückkehren.“
Die Angst ist weitverbreitet. Das weiß auch Prof. Faruk Sen, Leiter des Essener Zentrums für Türkeistudien. „Viele Türken sind verzweifelt. Sie haben Angst, für rechte Randalierer zum Freiwild zu werden.“ Sen sagt, wenn der rassistische Terror nicht gestoppt und hart bestraft werde, würden „möglicherweise immer mehr Ausländer auf die Idee kommen, sich selbst zu schützen und zu verteidigen“. Über Schutzmaßnahmen denkt auch Mustafa Güngör nach. Wie er sich schützen will? „Das bleibt mein Geheimnis.“ Auch Betriebsratskollege Yussuf Yüksel spricht davon, in „zwei Welten“ zu leben. „Im Betrieb kommen wir mit unseren Kollegen gut klar, aber bei Dunkelheit gehe ich nicht mehr allein auf die Straße. Man muß immer wachsam und vorsichtig sein. Das ist schlimm.“
Opel ist keine mulitikulturelle Insel. Es gibt Schmierereien auf den Toiletten, Parolen, Hakenkreuze. Offene Feindschaft wird Yusel und den anderen nicht entgegengebracht. Agitierende Rechtsradikale, so ist beim Betriebsrat zu hören, „würden auch plattgemacht“. Menschen aus 33 Nationen schrauben und schweißen hier Opel-Autos zusammen. Gut ein Viertel der rund 19.000 Beschäftigten hat keinen deutschen Paß. Daß die Rüsselsheimer Firmenleitung nach dem dreifachen Mord von Mölln die Suche nach den Mördern mit 100.000 Mark Belohnung unterstützt und weitere 50.000 Mark für die Hinterbliebenen gespendet hat, findet im Betrieb ein positives Echo. Allerdings weist Betriebsrat Peter Jaszcyk darauf hin, daß dieses Signal gegen Ausländerfeindlichkeit im Gegensatz zur Opel-Firmenpolitik steht, verschiedene europäische Produktionsstandorte gegeneinander auszuspielen und so Rivalitäten zwischen den Belegschaften zu erzeugen.
Spontan jedoch hat der Opel- Betriebsrat nicht auf die Morde von Mölln reagiert. Das Thema Ausländerfeindlichkeit steht für die nächsten, turnusgemäßen Betriebsversammlungen Anfang Dezember auf der Tagesordnung. „Die Wut über den rechten Terror ist da“, sagt Betriebsrat Gerd Cebulla, „aber jeder von uns muß sich um so viele betriebliche Probleme kümmern, daß kaum Zeit bleibt, etwas anderes zu organisieren.“ Solidaritätsadressen zu verschicken und „sich dann zurücklehnen“ nütze „ja auch nicht viel“. Vielleicht erkläre sich die Passivität bei Opel auch damit, „daß es keine Hinweise auf eine Verschlechterung des Klimas im Betrieb gibt“. Cebula wörtlich: „Ich bin da auch hilflos.“
Mehr Engagement hingegen zeigen die Stahlkocher in Dortmund. Einige Mitarbeiter der Hoesch AG wollten nach den Morden in Mölln nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. In der Mittagspause am Dienstag kam ihnen die Idee einer „provisorischen Aktion“. „Wir waren der Meinung, daß man es einfach nicht bei papierenen Appellen belassen kann“, sagt Hans-Otto Wolf, Betriebsratsvorsitzender. Am vergangenen Mittwoch versammelten sich rund 1.000 Stahlkocher auf dem Hof der Hoesch-Westfalenhütte. Die Unternehmensleitung hatte der Aktion zugestimmt. Die Versammlung verabschiedete einen Appell. Sie rufen „alle Betriebsräte und Vertrauenskörper“ auf, „gemeinsam dafür zu sorgen, daß es in unseren Betrieben keinen Rechtsterror gibt und wir in den Betrieben die politische Diskussion gegen diesen Rechtsruck führen“. Bundesweit müsse jetzt eine Aktion Arbeitsruhe „fünf vor zwölf“ geplant werden, „damit es morgen nicht ,fünf nach zwölf‘ ist“. Daß die IGM-Zentrale in Frankfurt eine solche Aktion zu ihrem eigenen Anliegen macht, steht vorerst nicht zu erwarten. Eine bundesweit koordinierte Arbeitspause, die es im Zusammenhang mit der Nachrüstungsdebatte durchaus gegeben hat, sei „nicht in Planung“, hieß bei der Pressestelle. Auch im DGB-Bundesvorstand sieht man dazu keinen Anlaß.
Da sind die Stahlkocher in Dortmund ihrer Gewerkschaftsspitze weit voraus. Mit Bravo-Rufen unterbrachen die Hoeschianer am Mittwoch die Rede des Betriebsratsvorsitzenden Horst Hepp vom Hoesch-Werk Union. „Die erste Schuld am rechten Terror hat der, der schweigt, der zusieht, der glaubt, es betreffe ihn nicht. Schuld hat der, der duldet, daß rassistische Parolen verbreitet werden, der Witze über Minderheiten macht, der Schmierereien an Wänden und Toiletten anbringt oder duldet. Ja, wir haben Grund, uns zu entschuldigen, wenn wir durch den Betrieb gehen und nicht dafür sorgen, daß diese Schmierereien verschwinden. Wir werden ab heute jede geschmierte Parole tilgen und jeden zur Rechenschaft ziehen, der schmiert oder Zettel und Parolen an die Wand heftet. Das betrachten wir als Störung des Betriebsfriedens, denn wir haben hier keinen Platz für Rassisten und Menschenverachter.“ Bei überführten Tätern werde der Betriebsrat selbst, so Hans-Otto Wolf, „in jedem Einzelfall die Entlassungsanträge wegen Störung des Betriebsfriedens stellen“. Um den praktischen Schutz zu verbessern, haben Hoesch-Vertrauensleute eine Telefonkette verabredet. „Sie soll immer dann ausgelöst werden, sobald in Dortmund Kolleginnen und Kollegen und ihre Familien bedroht werden“, sagt Horst Hepp. Man werde künftig „gemeinsam handeln und kämpfen, dafür, daß wir in Zukunft nicht wieder gemeinsam trauern müssen, sondern gemeinsam leben können“. Walter Jakobs
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