: Alle sinken im selben Boot
Sambia ist eines der wenigen afrikanischen Länder, das ein friedliches Ende der Diktatur hinter sich hat. Jetzt kämpfen die Revolutionäre von gestern mit der Weltwirtschaft ■ Aus Lusaka Bettina Gaus
Im Zentrum der Bergarbeiterstadt Kitwe im Herzen des sambischen Kupfergürtels steht ein Denkmal: ein Mann, im Begriff, einen Stein auf einen unsichtbaren Gegner zu schleudern. „Das Denkmal erinnert an unseren Kampf um die Unabhängigkeit“, erklärt Charles Nsakshalo von der Kupferminengesellschaft, und er fügt lächelnd hinzu: „Wir waren immer schon ein besonders friedliches Volk. Selbst den Kolonialismus haben wir nicht mit Gewehren, sondern nur mit Steinen bekämpft.“
Vor gut einem Jahr hat die Friedfertigkeit der Sambier Geschichte gemacht: Damals wählte die Bevölkerung des zentralafrikanischen Landes Frederick Chiluba zum neuen Präsidenten. Kenneth Kaunda, der Sambia 27 Jahre lang seit der Unabhängigkeit 1964 regiert hatte, gestand seine Niederlage ein und räumte seinen Posten kampflos. Der friedliche Machtwechsel wurde zum Symbol für andere Staaten des Kontinents, deren Bürger auf demokratischen Wandel ohne Blutvergießen hoffen. Aber der Wahlsieger trat ein schweres Erbe an: Sambias Wirtschaft ist ruiniert. Der Schuldendienst für die Auslandsverbindlichkeiten in Höhe von rund sieben Milliarden US-Dollar hat in den letzten Jahren einen großen Teil der Staatseinnahmen gefressen. Das Land hat acht Millionen Einwohner – und nur 346.000 bezahlte Arbeitsplätze. Die Bevölkerung hat den neuen Präsidenten nicht nur deshalb gewählt, weil sie demokratische Reformen wünschte, sondern auch, weil sie von ihm Schritte zur Hebung des Lebensstandards erwartet.
Privilegierte Bergbau-Elite
Seit jeher waren die Minen nach dem Staat mit seinem Beamtenapparat der größte Arbeitgeber: 56.000 Männer und Frauen sind hier beschäftigt. Kitwe bietet ein Bild trügerischen Wohlstandes. Schmucke, gepflegte Einfamilienhäuser inmitten großer grüner Gärten liegen an sauberen, baumbestandenen Straßen. Keine reiche Elite lebt hier – die Minengesellschaft stellt insgesamt 8.500 Häuser ihren Arbeitern und deren Familien zur Verfügung, mietfrei oder gegen einen nominellen Betrag. Auch für Strom müssen die Bergleute fast nichts bezahlen. Ihre Kinder besuchen eine werkseigene Schule, ihre Angehörigen werden in einem Krankenhaus der Minengesellschaft behandelt, das einen vorzüglichen Ruf genießt. Für Maismehl, das Grundnahrungsmittel des Landes, müssen die Bergarbeiter nicht einmal ein Drittel des sonst üblichen Ladenpreises bezahlen. Und Schlange zu stehen brauchen sie dafür auch nicht: Wer in den Kupferminen beschäftigt ist, darf in Geschäften einkaufen, die anderen Kunden verschlossen bleiben.
Auf dem Weg zum kleinen Flughafen von Kitwe sind auch andere Häuser zu sehen: verwahrlost, heruntergekommen. „Die sind für Regierungsangestellte“, erklärt Charles Nsakashalo. Es bedarf keiner Erläuterung, wer hier in Sambia in den letzten Jahren den Ton angegeben hat.
Aber um die Kupferminen steht es nicht gut. Seit zwei Jahren ist den Anlegern keine Dividende ausgezahlt worden. „Das letzte Finanzjahr war das schlechteste in der Geschichte“, gibt Francis Musonda, Sprecher der Minengesellschaft in der Hauptstadt Lusaka, zu. Sein Kollege Gabriel Mukuwa in Kitwe beschreibt, wie sich heute die Sünden der Vergangenheit rächen: „Die Minen wurden immens hoch besteuert und haben praktisch alleine Regierung und Einheitspartei finanziert. Deshalb fehlte das Geld, um Ersatzteile zu kaufen, und die Minen waren viel weniger ertragreich, als sie hätten sein können.“ Für Sambia hatte das katastrophale Folgen: Das Land bezieht 90 Prozent seiner Exporterlöse vom Kupfer – und der Preis auf dem Weltmarkt ist ohnehin in den letzten Jahren um rund ein Drittel gefallen.
Frederick Chiluba kündigte bereits während seines Wahlkampfes unpopuläre Maßnahmen an. Und die Bevölkerung, die sich der desolaten Lage bewußt ist, hat Entwicklungen wie die mehrfache Teuerung der Maismehlpreise hingenommen, die noch vor einigen Jahren unter Kenneth Kaunda zu blutigen Unruhen geführt hatten. Auch die Bergarbeiter bleiben von Opfern nicht verschont. Bis März nächsten Jahres soll die Zahl der Angestellten bei der Minengesellschaft um 10.000 verringert werden. Die Bergarbeitergewerkschaft zeigt Verständnis: „Es hat keinen Sinn, wenn alle gemeinsam mit einem überfüllten Boot sinken“, meint ihr amtierender Generalsekretär Paul Kafumbe.
Die Gewerkschaften, die ihre Zentrale in Kitwe und nicht etwa in der Hauptstadt Lusaka haben, haben den neuen Präsidenten im Wahlkampf unterstützt. Hier hatte er seine Machtbasis. Im Büro von Alec Chirwa, Generalsekretär der Gewerkschaftsdachorganisation ZCTU, hängt ein überlebensgroßes Portrait von Chiluba in einem riesigen vergoldeten Rahmen. Aber das Gold blättert: „Wir sind diejenigen, die diese Regierung an die Macht gebracht haben, aber wir sind nicht diejenigen, die sie regieren“, beschwert sich Geoffrey Alikipo von der ZCTU. „In der Regierung sitzen Millionäre und Geschäftsleute.“ Sein Kollege James Mazyopa unterstützt ihn: „Der Präsident hat eine Menge Leute aus der Arbeiterbewegung einfach übergangen.“ Generalsekretär Alec Chirwa sagt: „Wir sind unglücklich darüber, daß die Arbeiterbewegung übergangen worden ist, vor allem wenn man bedenkt, welche Rolle wir beim Wandel gespielt haben.“
Was ist das Wohl der Nation?
In den unteren Rängen der Gewerkschaft ist mehr Geduld zu beobachten: „Der Präsident bewegt sich in die richtige Richtung“, meint Geoffrey Banda von der Bergarbeiterunion. „Es ist nichts dagegen zu sagen, wenn er uns um des Wohles der Nation willen auf die Zehen tritt.“
Was aber ist das Wohl der Nation? Die Regierung Chiluba setzt auf enge Kooperation mit der Weltbank. Abbau von Arbeitsplätzen, Freigabe bislang subventionierter Preise, die Abwertung des Kwacha und die Privatisierung von Staatsbetrieben stehen auf dem Programm oder sind bereits in Angriff genommen worden. „Heilige Kühe“ soll es nicht geben, hat der Präsident versprochen: Selbst das Postwesen, die öffentlichen Verkehrsmittel und die Minen können privatisiert werden. Bis Jahresende soll das an 17 kleineren Unternehmen erprobt werden.
Bei der Weltbank ist man begeistert: „Bisher sind wir sehr beeindruckt“, erklärt ihr Sprecher Isaac Moreithi. „Keine Frage, Sambia ist einer der Lieblinge der Weltbank.“ Im Juli wurde eine Vereinbarung über einen 200-Millionen-Dollar- Kredit unterzeichnet, alte Verbindlichkeiten sind umgeschuldet worden. Erlassen aber wurden sie nicht. „Es wäre eine noble Geste gewesen, wenn sich die Welt nach den Wahlen, die für Afrika ein ganz wichtiges Signal waren, entschlossen hätte, die Schulden zu streichen“, meint Heiner Knauss vom Deutschen Entwicklungsdienst. „Dann hätten alle begriffen: Demokratie lohnt sich.“
Vorläufig lohnt sie sich nicht. Insgesamt ein Drittel der Arbeitsplätze sind durch das neue Sparprogramm gefährdet. In den Städten sind Preise für Grundnahrungsmittel, Fahrgelder und Wohnungsmieten rund viermal so hoch wie vor einem Jahr – die Löhne aber sind nur etwa verdoppelt worden. Ein Nachtwächter, der umgerechnet etwa 20 Dollar verdient, oder eine Krankenschwester, die auf rund 60 Dollar im Monat kommt, rutschen da schnell unter die Armutsgrenze, wenn für einen Dollar nur noch zwei Kilo Maismehl zu haben sind.
Die Dürre in der Region ist eine schwere zusätzliche Bürde: Die Hälfte, vielleicht sogar zwei Drittel der Ernte sind auf den Feldern vertrocknet. 900.000 Tonnen Mais müssen importiert werden. Jetzt rächt es sich, daß Sambia sich in der Vergangenheit allein auf die Erlöse aus dem Kupferexport verlassen hat – weniger als zehn Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche sind bebaut.
Das neue Wirtschaftsprogramm weckt Ängste. Für die großen Unternehmen werden sich wohl vor allem ausländische Investoren interessieren – sambischen Geschäftsleuten fehlt Kapital. „Es wird gesagt, wenn die Kupferminen verkauft werden, wird das Land verkauft“, sagt die Fernsehmoderatorin Goretti Mapulanga in einer TV-Diskussion und drückt damit wohl die Befürchtungen vieler Sambier aus. Auch Europäer können die Sorgen verstehen: „Wir haben hier ein Volk, das 150 Jahre geknechtet wurde und sich jetzt fragt: Warum wollen wir die Weißen zurück? Das ist doch wohl eine Frage wert“, meint einer.
Aber die Wirtschaftsexperten sehen keine Alternative zum gegenwärtigen Kurs. „Sambia war lange unter dem Einfluß des Sozialismus“, meint der Koordinator für das Privatisierungsprogramm, Ngosa Chisupa. Es bedürfe einfach einer breiten Aufklärungskampagne. Eine Broschüre in acht Landessprachen soll jetzt allerorten verteilt werden.
Und dann? In Gesprächen wird immer wieder Verständnis dafür geäußert, daß der wirtschaftliche Aufschwung nicht über Nacht kommt – mit einer Durststrecke von zwei, vielleicht drei Jahren müsse gerechnet werden. Derlei Äußerungen jagen Jacob Mwansa kalte Schauer über den Rücken. Er berät die Regierung im Auftrag des IWF und meint: „Diese Erwartungen erschrecken mich. Die neue Regierung hat eine bankrotte Wirtschaft übernommen. Bis die sich erholt, werden viele Jahre vergehen. Die Wunden werden sogar noch mehr schmerzen, bevor sie zu heilen beginnen. Da wird es große Enttäuschungen geben.“
Auf anderen Gebieten gibt es die bereits. Vor allem Intellektuellen geht die Demokratisierung nicht schnell genug. „Es gibt keine freie Presse, keine Vereinigungsfreiheit, das Parlament segnet alle Entscheidungen der Regierung einfach ab“, meint Fred M'membe, Herausgeber der regierungskritischen Weekly Post, der noch im Wahlkampf Chiluba bedingungslos unterstützt hatte. „Die Revolution ist von Geschäftsleuten für ihre eigenen Zwecke ausgebeutet worden“, sagt die Juristin Tukiya Kankasa Mabula, und sie fügt spöttisch hinzu: „Einige der Leute, die an die Macht gelangt sind, weil sie gegen die Verfassung waren, scheinen jetzt an genau dieser Verfassung festhalten zu wollen.“
Justizminister Rodger Chongwe gehört nicht dazu. Er will eine Verfassungsreform erarbeiten lassen, die mehr bürgerliche Freiheiten garantiert und über die in einem Referendum entschieden werden soll. Aber der Prozeß dauert lange. Das bringt der Regierung Kritik ein: „Der Präsident entfremdet sich von den demokratischen Bewegungen“, glaubt Fred M'membe. „Er hat sich bereits von den Studenten und Interessengruppen wie der Frauenbewegung entfernt.“ Auf die Euphorie des Wandels ist die Ernüchterung des Alltags gefolgt. Wird der Atem von Regierung und Bevölkerung dafür reichen? Die heute stattfindenden Kommunalwahlen sind der erste Härtetest für die Revolutionäre von gestern.
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