■ Bundesinnenminister Seiters möchte führenden Rechtsextremisten Grundrechte aberkennen
: Hektik von Gelegenheitsdemokraten

Vereinigungsverbot für Nazi-Organisationen, Verwirkung von Grundrechten für Führer dieser Gruppen, vorbeugender polizeilicher Staatsschutz zur Verbrechensverhinderung, Verschärfung des politischen und Versammlungsstrafrechts: Der Rechtsstaat räumt auf mit der braunen Brut! Sagt er wenigstens, und weiß sich der allgemeinen Zustimmung der herrschenden politischen Parteien, der parlamentarischen Opposition und vermutlich auch vieler Linker und der Antifa-Gruppen sicher. Von „wehrhafter Demokratie“ ist wieder die Rede, andere drücken es – je nach Herkunft und Rhetorik – etwas martialischer aus. Ganz vorne weg marschieren dabei Gelegenheitsdemokraten wie der Berliner Innensenator Heckelmann, der schon mal lügt, wenn es ihm politisch erforderlich erscheint. Jetzt ist er ganz demokratischer Saubermann und gibt vor, dies alles gegen die Gefahr von rechts tun zu wollen.

Dabei erinnert das, was der Rechtsstaat derzeit an Werkzeugen aus der Mottenkiste zieht, an finsterste Zeiten der fünfziger und siebziger Jahre. Damals gab es linksliberale Kritiker, die an Stelle von Organisationsverboten offene politische Diskussionen, an Stelle von vorbeugendem polizeilichen Staatsschutz eine strikte Trennung von Polizei und Geheimdiensten setzen wollten und die Verwirkung von Grundrechten überhaupt nicht als Mittel eines demokratischen Rechtsstaates hinzunehmen bereit waren.

Organisationsverbote, so argumentierten die Kritiker, drängen in den Untergrund, fördern die Kriminalisierung und berauben doch die gefährlichen Strömungen hin zu den politischen Extremen nicht ihrer Anziehungskraft auf die jungen Verführten: Schließlich werden diese nicht begeistert Parteigänger der Faschisten, weil deren Organisationen erlaubt sind. Und vorbeugender polizeilicher Staatsschutz – zum Beispiel ein weiter Zugriff der Polizei auf alle möglichen Daten, das Recht zur Führung von Datensammlungen, die Durchdringung und Ausspähung politischer Szenen durch die Polizei – folgt der Logik, die in Deutschland letztlich Sicherheitsbehörden wie die Gestapo und die Stasi geboren hat: Sicherheitsorgane, die uferlos – lediglich politischen Zweckmäßigkeitserwägungen der herrschenden politischen Kreise verpflichtet – Oppositionelle ausspähen können, unter Anwendung geheimdienstlicher Aufklärungstechniken.

Dabei dürfen sich die Linken in SPD und AL oder gar die Antifas aus Kreuzberg nicht wundern, wenn sich alsbald herausstellen sollte, daß die neu erworbene Macht und das heftig gewachsene Selbstbewußtsein der Sicherheitsbehörden mit Wucht auch gegen Linke eingesetzt werden. Ja es könnte sogar sein, daß sie vor allem gegen Linke eingesetzt werden! Uns sind noch die maßlosen Forderungen rechter Law-and-order-Experten im Ohr, die nach der großen antirassistischen Demonstration vom 8. November in Berlin forderten, gegen die Eierwerfer auf den Präsidenten mit der ganzen Härte des Gesetzes vorzugehen, weil sie nicht nur die Weste des Präsidenten, sondern das Deutschland-Bild der Herrschenden besudelt hätten.

Dabei ist es eine bare Selbstverständlichkeit, daß Mord, Brandstiftung und Terror der Rechten mit allen strafrechtlichen Mitteln zu verfolgen sind. Das Schlimme ist jedoch, daß dies bislang nicht geschehen ist, sondern daß vielmehr die Führer der jetzt verbotenen Organisation ungestraft zum Rassenhaß aufrufen durften, obwohl das auch vor den Morden in Mölln und anderswo schon verboten und strafwürdig war. Für diese sträflichen Versäumnisse tragen ebenjene Gelegenheitsdemokraten und ihre Beamten die Verantwortung, die jetzt mehr Macht verlangen. Ihr hektischer Aktionismus, der an die Stelle rechtsstaatlich bedenkenfreier Strafverfahren zu treten scheint, dient als Plazebo für die internationale Öffentlichkeit und der Vorbereitung der Unterdrückung sich abzeichnender härterer gesellschaftlicher Auseinandersetzungen angesichts der augenfällig gewordenen Krisen in Deutschland. Kriminalpolitisch und politisch ist er jedoch kontraproduktiv: Kriminalpolitisch, weil er Märtyrer produziert und die rechte Szene kriminalisiert und dadurch zusammenschweißt – erinnern wir uns an die Dialektik von Repression durch die Haftbedingungen und Rekrutierung neuer Kämpfer in der Geschichte der RAF. Politisch ist der Aktionismus kontraproduktiv, weil als Folge der Kriminalisierung offene Debatten mit den Faschisten, und vor allem mit ihren jugendlichen Anhängern, nicht mehr möglich sein werden.

Die Überlegungen, demokratische Grundrechte als unteilbar anzusehen und neue repressive Machtmittel des Staates zu verhindern, haben sich auch angesichts der rechten Gefahr nicht als falsch erwiesen. Solange nämlich, wie der Staat die vorhandenen Mittel nicht konsequent einsetzt, läßt sich nicht behaupten, daß sie nicht ausreichen. Außerdem sind Rassismus und Ausländerfeindlichkeit keine Erfindung der Faschisten. Sie sind jahrelang von den Parteien der politischen Mitte gefördert worden, um eigene politische Ziele durchzusetzen. Es ist nun Aufgabe breiter politischer Auseinandersetzung und offener Diskurse, die Geister, welche die Mitte-Rechts-Parteien gerufen haben, wieder loszuwerden. Mit repressiven Mitteln wird dies nicht gelingen. Beschädigt aber wird dadurch in jedem Fall die demokratische Rechtskultur. Jony Eisenberg

Der Autor ist Rechtsanwalt und Justitiar der taz