■ Portrait: Rodney aus den USA
Nach 23 Jahren ohne ein Morgen – dem endlosen Kreislauf des High-werdens von Heroin, den Entzugserscheinungen, dem nächsten Schuß – sah Rodney die Zukunft plötzlich wie einen Hochgeschwindigkeitszug auf sich zurasen. Vor zwei Jahren erhielt er sein Testergebnis: HIV-positiv.
Wie viele verarmte Schwarze zog sich der 38jährige das Virus zu, weil er keine Vorsichtsmaßnahmen getroffen hatte. „Ich dachte, Aids betrifft nur Schwule, weiße Schwule.“ Heute ist Rodney klar: „Es wäre ein Wunder gewesen, wenn ich mich nicht infiziert hätte. Ich habe 23 Jahre lang die Nadel mit anderen geteilt, und ich habe nur drei- oder viermal in meinem ganzen Leben ein Kondom benutzt.“
Es gibt etwa 16.000 Spritzdrogenabhängige im Bezirk Washington, davon sind nach offiziellen Angaben 4.000 HIV- infiziert. Vor allem weil sich das Virus in dieser Gruppe so schnell verbreitet, rechnet die Gesundheitsbehörde für die Hauptstadt mit einer Verdreifachung der Infizierten-Zahlen bis Mitte der 90er Jahre.
Die ersten Symptome der HIV-Infektion sind relativ leicht zu kurieren. Doch ohne Geld, Krankenversicherung oder die Unterstützung ihrer Familien suchen viele infizierte Drogenabhängige erst dann Hilfe, wenn die Krankheit nicht mehr behandelt werden kann. Dann tauchen sie in den überfüllten öffentlichen Gesundheitszentren auf.
Für die Armen sind die Behandlungsmöglichkeiten begrenzt. Für die Aufnahme in die HIV-Klinik des städtischen Krankenhauses müssen sich neue PatientInnen, die nicht bettlägerig sind, in eine Warteliste eintragen. Wartezeit: drei Monate. 75 Prozent der dortigen PatientInnen sind arbeitslos und obdachlos.
Als Rodney herausfand, daß er HIV-positiv ist, hat ihn das zuerst in eine Depression gestürzt, er griff wieder zu Drogen. Jetzt ist er in einer Selbsthilfegruppe für HIV-positive Drogenabhängige aktiv. Er achtet darauf, clean zu bleiben, die Ersatzdroge Methadon einzunehmen, Sport zu treiben und sich gut zu ernähren. Er ermutigt auch andere Drogenabhängige, den HIV-Test zu machen. Viele, die er kennt, leben „mit einer gefährlichen Verleugnung“.
„Sie haben niemanden, sie wissen nicht wohin. Manche gehen ins Obdachlosenasyl, wer schlau ist, läßt sich für eine Nacht aufgabeln“, sagt Rodney, der bei seiner Mutter lebt. „Sie wissen nicht einmal, wie sie ins Krankenhaus kommen sollen. Manche Familien schließen sie zu Hause ein, weil sie sich ihrer schämen.“
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