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„Wenn die Angst weg ist, ist es aus mit dem System“

■ Die Enquete-Kommission zur Aufarbeitung von DDR-Unrecht hörte Betroffene

Berlin (taz) – So paradox es klingt: Noch immer stehen die ehemaligen Machthaber der DDR im Rampenlicht. Jüngstes Beispiel: der Honecker-Prozeß. Von den Opfern hingegen ist nach wie vor eher summarisch und abstrakt die Rede. Das, so will es Rainer Eppelmann, muß anders werden. Deshalb stand die vierte öffentliche Anhörung der Enquete-Kommission des deutschen Bundestages, deren Vorsitzender Eppelmann ist, ganz im Zeichen derjenigen, die den Repressalien des Systems ausgesetzt waren.

Groß jedoch war das öffentliche Interesse an der zweitägigen Veranstaltung im Berliner Reichstag nicht. Die Betroffenen blieben weitgehend unter sich. Auch deshalb wird es die im März dieses Jahres eingesetzte Enquete-Kommission am Ende nicht einfach haben, ihren Anspruch durchzusetzen, „dem Gesetzgeber konkrete Vorstellungen darüber zu unterbreiten, wie geschehenes Unrecht wiedergutgemacht oder gemildert werden kann und wie Gerechtigkeit hergestellt werden soll“.

Von den zehn geladenen, „ganz normalen DDR-Bürgern“ waren die persönlichen Schilderungen von Sigrid Rührdanz vielleicht am eindrucksvollsten. Durch den Bau der Mauer wurde sie von ihrem schwerkranken Säugling getrennt, weil allein die medizinische Versorgung im Westteil der Stadt ihren im Januar 1961 geborenen Sohn am Leben erhalten konnte. Ausreiseanträge brachten sie ins Gefängnis. Erst als das Kind bereits fünf Jahre alt war, konnte sie es wiedersehen. „Es sprach mich mit ,Sie‘ an.“

Immer wieder geht es in den persönlichen Darstellungen um die beruflichen Repressalien, die man zu spüren bekam, wenn man sich gegen die Ideologie des Systems stellte. Acht Tage, nachdem er seinen Ausreiseantrag gestellt hatte, wurde Ronald Dembicki aus seiner Anstellung bei der Reichsbahn entlassen. Ähnlich auch die Erfahrung des 23jährigen Götz Gringmuth-Dallmar: Als „stinknormaler“ Jugendlicher (Pioniere, FDJ) waren seine beruflichen Möglichkeiten in dem Moment beendet, als er sich bei einer paramilitärischen Ausbildung weigerte, mit Kalaschnikows auf Pappfiguren zu schießen. „Zynischerweise wurde ich dann als ,Sanitäter‘ eingesetzt und mußte die durchschossenen Figuren flicken.“

Vorträge der Bürgerrechtler Wolfgang Templin und Ehrhart Neubert beschäftigten sich mit dem Repressionssystem der DDR. Für Templin erklärt sich die „relative Stabilität“ des Regimes „aus einem abgestuften Repressionssystem, dem eine Kombination von Belohnung und Drohung gegenüberstand“. Die Mechanismen des untergegangenen Staates waren, so Templin, entgegen dem Anschein höchst differenziert: „Grautöne“ anstelle einer Gleichschaltung. So waren beispielsweise gewisse „Spielregelverletzungen“ durchaus erlaubt.

Wolfgang Schuller, Professor aus Koblenz, markierte die Rahmenbedingungen, unter welchen die Repressalien überhaupt wirksam werden konnten. „Daß sich das politische System als unveränderliche Gewißheit darstellte“, war wesentliches Moment. Aber auch der Mangel an Öffentlichkeit bedingte die Wirksamkeit der staatlichen Sanktionen und Einschüchterungen.

„Es muß ganz deutlich werden, daß man Angst davor hatte, leiden zu müssen“, pointiert ein Diskussionsteilnehmer eine durchgängige Alltagserfahrung. Doch der Bürgerrechtler Gerd Poppe erinnert auch daran, daß die Angst nur solange blieb, wie man sich im legalen Rahmen bewegte. „Wenn man die Legalität verließ, war man nicht mehr Opfer, und die Angst hörte auf.“ In den Worten von Wolfgang Schuller: „Wenn die Angst weg ist, dann ist es aus mit dem System.“ Julia Albrecht

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