: Vom Solitär zur zentralen Immobilie
■ Die Außenstelle der Schweizer Botschaft, derzeit einziges Gebäude am Spreebogen, kollidiert mit den Interessen der Planer des Regierungsviertels
Berlin. „Fast ausnahmslos waren alle Häuser unseres Quartiers abgebrannt oder auseinandergesprengt“, erinnerte sich später Hans Frölicher, der Schweizer Gesandte zu Berlin, an das Bild nach den ersten massiven Bombardements der Reichshauptstadt im November 1943, „nur die Gesandtschaft bildete eine Ausnahme.“ Wie die Schweiz im Herzen Europas den Krieg unbeschadet überstand, so überstand ihre Botschaft im Herzen Berlins die Angriffe der alliierten Luftwaffe, wenn auch so lädiert, daß der Gesandte seinen Arbeitsplatz vorübergehend in der Portierloge einrichten mußte. Heute steht das Gebäude einsam auf weiter Flur im Spreebogen hinter dem Reichstag. Es ist das einzige Haus an der Fürst-Bismarck- Straße, die auch altgediente Berliner Taxifahrer oft nicht zu orten vermögen, und dient heute als Generalkonsulat der Schweiz. Am 18.Dezember wird es zur Außenstelle der eidgenössischen Botschaft avancieren. Doch die weitere Zukunft ist höchst ungewiß.
„Wir haben eine natürliche Präferenz, hierzubleiben“, erörterte Minister (so der Schweizer Titel für Gesandte) Paul Widmer, der die Berliner Außenstelle leiten wird, das Problem, „aber es besteht auch ein markantes Interesse der Bundesregierung an dem Gebäude.“ Kein Wunder. Gleich daneben dürfte schon bald das Kanzleramt entstehen. Ein paar Schritte weiter der Bundestag und die Bundespressekonferenz. Deshalb hat offenbar schon die Deutsche Parlamentarische Gesellschaft durchblicken lassen, daß sie ins Schweizer Haus einziehen möchte.
Ob die Liegenschaft, die fast ein halbes Jahrhundert als Solitär in einer verödeten Stadtlandschaft stand, durch Mauer und Spree vom Zentrum Ost-Berlins und durch weitläufige Wiesen vom bewohnten West-Berlin getrennt, veräußert wird, entscheidet letztlich die Regierung in Bern. Sie hat das Gebäude, das im Jahr 1870 gebaut wurde und also älter als der Reichstag ist, Anfang der zwanziger Jahre für 400.000 Franken erworben. Bis in den März 1945 blieb es Amtssitz des Schweizer Botschafters. Dann – wenige Wochen vor Kriegsende – zog Hans Frölicher, der oberste eidgenössische Diplomat in Berlin, der Reichsregierung in die bayerischen Berge hinterher, so wie es die Regeln der Diplomatie nun einmal wollten. Als die Russen das Gebäude am Spreebogen eroberten, waren nur noch nachrangige Chargen anwesend. Sie wurden zunächst nach Moskau überführt. Schweizer Proteste fruchteten wenig. Die Eidgenossenschaft hatte 1919 die diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion abgebrochen und nicht wieder aufgenommen.
Ein sowjetisches Veto im Alliierten Kontrollrat verhinderte denn auch, daß die Schweiz 1945 in ihrem heil gebliebenen Haus im zerstörten Berlin eine reguläre diplomatische Vertretung einrichtete. Zunächst residierte dort eine Heimschaffungsdelegation, die mit der Rückführung der etwa 4.000 in Berlin verbliebenen Schweizer beauftragt war. 1949, als die Schweiz auch in Ost-Berlin ein Büro eröffnete, wurde daraus die Schweizer Delegation, die 1973, als das Ostberliner Büro zur Botschaft wurde, in den Rang eines Generalkonsulats aufstieg.
Nach dem Mauerfall ist die Ostberliner Botschaft an der Pankower Esplanade längst geschlossen, und das Generalkonsulat wird nun zur Außenstelle der Botschaft. Zu tun gibt es dort genug. Immerhin nimmt die Schweiz auf dem wirtschaftlichen Ruinenfeld, das der reale Sozialismus in Deutschland Ost hinterlassen hat, eine Spitzenposition ein. Kein anderer ausländischer Staat, so Minister Widmer, hat sich in so vielen von der Treuhand veräußerten Betrieben engagiert wie die Eidgenossenschaft. Thomas Schmid
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