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Mit den Herzen in den Füßen

DFB-Pokal, Viertelfinale: Hertha BSC Amateure – 1. FC Nürnberg 2:1 (0:0)/ Im Halbfinale geht es gegen den Chemnitzer FC  ■ Aus Berlin Nikolaus Hillmann

Berlin (taz) – Er sagt das, als sei es ganz normal: „Selbstverständlich gehe ich morgen um neun zur Arbeit.“ Jochem Ziegert, Finanzbeamter, schaut so ruhig und gewissenhaft, wie ein Mensch seiner Profession es sollte. Nebenbei ist er übrigens Fußballtrainer, und nicht mal eine Stunde vorher vollführte er draußen auf dem Rasen mit seinen Spielern die unglaublichsten Faxen, lief wie irre geworden umher, schlug Purzelbäume und brüllte wirres Zeug. „Es ist schwer faßbar, was passiert ist“, gestand er hernach, wieder etwas beruhigt, und man kann nicht anders, als ihm unbedingt Recht zu geben.

Ein Berliner Fußballverein hat den Einzug ins Halbfinale des DFB-Pokals geschafft; an sich schon eine sensationelle Tatsache. Zur gigantischen Sensation aber wird es dadurch, daß der Verein auch noch Hertha BSC heißt. Aber nicht die laschen Zweitliga-Profis besiegten den 1. FC Nürnberg, sondern die Hertha-Amateure!

Es waren gar nicht mal nur die letzten 180 Sekunden des Spiels, die selbst eingefleischte Hertha- Gegner und notorische Phlegmatiker unter den 14.000 Zuschauern im ausverkauften Mommsen-Stadion ungehemmt ausflippen ließen. Es waren die gesamten 90 Minuten, die den hochkarätigen Nürnberger Erstligaspielern keine andere Möglichkeit lassen, als barfuß und gesenkten Hauptes ins Frankenland zurückzukehren.

Lassen wir dazu den Fachmann sprechen, Nürnbergs Trainer Willi Entenmann: „Herthas Amateure waren das ganze Spiel über klar die bessere Mannschaft.“ Nicht nur das, der Hertha-Nachwuchs hat den „Club“ sogar lächerlich gemacht. Ganze zwei Torchancen hatten die Nürnberger während des Spiels, beide wurden ihnen durch Schludrigkeiten der Berliner Abwehr geschenkt. Eine magere Ausbeute, zumal Nürnbergs Torwart Andreas Köpke das Spiel als „Pflichtaufgabe“ abgetan und Entenmann knapp gefordert hatte: „Wir fahren da hin und gewinnen.“

Als er das sagte, ahnte er wohl nicht, daß seine Stars Köpke, Hans Dorfner und Dieter Eckstein völlig neben der Kappe sein würden. Daß ein Spieler mit Namen Gerald Klews den berühmten Dorfner austanzen würde wie einen Kreisligareservisten. Daß ein Andreas Zimmermann im Zweikampf mit Eckstein diesen bevorzugt tunneln oder ihm den Ball rückwärts über den Kopf spitzeln würde.

Für die von den im Schnitt gerade mal zwanzig Jahre jungen Amateuren der Hertha so dreist wie unerwartet zur Schau gestellte technische Überlegenheit gegenüber den Nürnbergern gab es einen banalen Grund: Sie hatten einfach keine Angst vor dem angeblich so großen Gegner. Und spielten mit den Herzen in den Füßen. In der ersten Halbzeit noch ungestüm und wild, was immerhin drei Schüsse und zwei Kopfbälle auf Köpkes Tor einbrachte. Die Nürnberger durften hingegen zufällig durch Dorfner einmal an den Pfosten schießen.

Ihre abwartend inaktive Taktik sollte wohl besonders hinterlistig sein. Erstmal die Amateure lahm laufen lassen, dann würden die Tore schon fallen. Doch die Herthaner durchkreuzten diesen ebenso stupiden wie gemeinen Plan. In der zweiten Halbzeit spielten sie cleverer – und verstärkten ihren Angriffsdruck. Zweimal mußte Eckstein den Ball aus der linken Torecke köpfen, bei Zimmermanns Bollerschuß in eben jene Ecke war er nicht zur Stelle, und Hertha führte nach 70 Minuten 1:0.

Doch die Nürnberger waren auch danach nicht in der Lage, ernsthaft nach vorne zu spielen, bis die berühmten letzten zwei Minuten anbrachen. Dorfner bekam einen Freistoß geschenkt, der eingewechselte Markus Bäurle einen Kopfstoß – 1:1, 89. Minute. Totenstille im Tollhaus Mommsenstadion, einige Herthaner, die sich kaum noch auf den Beinen halten konnten, sackten zu Boden. „In der drohenden Verlängerung wären wir konditionell am Ende gewesen“, so Trainer Ziegert.

Die Herthaner erinnerten sich aber flugs daran, daß der 1. FC Nürnberg bevorzugt in der letzten Minute Tore kassiert und rappelten sich noch mal auf. Kurz nach dem Anstoß stand Daniel Lehmann nach einem abgezockten Konter allein vor dem Tor und drosch den Ball hinein. Dann der Pfiff, Ende, Einzug ins Halbfinale gegen den Chemnitzer FC, und Berlin hat seit ewigen Jahren wieder eine Fußballmannschaft, die es heiß und innig lieben kann.

1. FC Nürnberg: Köpke - Zietsch - Kurz, Brunner (71. Bäurle), Oechler, Kramny, Wolf, Dorfner, Olivares - Eckstein, Weissenberger (62. Bustos)

Zuschauer: 14.000 (ausverkauft); Tore: 1:0 Zimmermann (70.), 1:1 Bäurle (88.), 2:1 Lehmann (89.)

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