: Der Griff nach dem Strohhalm
■ Trotz mangelnder Akzeptanz und zunehmender Kritik hält die Bundesrepublik an ihrem Euro-Kurs fest – doch die Pläne drohen an der Realität zu scheitern
Wer sich um Europa sorgt, der hat Verstand; wer darauf hofft, hat Herz; wer dazu ja sagt, hat beides.“ So wirbt die Bundesregierung neuerdings auf ganzseitigen Anzeigen für das Vertragswerk von Maastricht. Lange Zeit hatten Bonns Herrscher die Signale des Wahlvolks nur allzu gerne überhört. Eine parlamentarische Mehrheit für die Ratifizierung war ohnehin gesichert – ungeachtet einer wachsenden Besorgnis der BürgerInnen, sie müßten ihre gute D-Mark auf dem Altar einer nebulösen Europaidee opfern.
Erst die Ratifizierungsschwierigkeiten in Dänemark, Frankreich und Großbritannien machten das Grundproblem deutlich: fast alle reden von der ältesten niederländischen Stadt, in der die Staats- und Regierungschefs der zwölf EG- Staaten vor einem Jahr den „Vertrag über die Europäische Union“ absegneten, doch was sich dahinter verbirgt, das wissen die wenigsten. Dabei hatten gerade die Architekten des Vertragswerks gehofft, der Zustimmungsmarathon in Europa würde – quasi als pädagogische Belehrung – die Einsicht verbreiten, kein Weg führe an dem in Maastricht eingeschlagenen Unionskurs vorbei.
Statt dessen fiel die Lektion andersherum aus. Wurde der dänische Ablehnungsentscheid von den Eurokraten noch zähneknirschend als formaljuristischer Fauxpas hingenommen, kamen spätestens nach dem knappen französischen Referendum die Zweifel. Offensichtlich sorgte sich eine immer größer werdende Schar der Unionsgegner, daß ihnen ihre nationale Souveränität und Eigenständigkeit verlorengeht und daß die kaum kontrollierten Brüsseler Kommissare mit undurchsichtigen Verordnungen zunehmend die Politik bestimmen werden, ohne daß die BürgerInnen noch unmittelbar Einluß darauf ausüben können. Und in den europäischen Nachbarstaaten wuchs zudem die Befürchtung, Deutschland könne in eine neue Großmachtrolle hineinwachsen und wieder einmal dominieren.
Nicht zuletzt das wachsende Unbehagen der Nachbarn mag Helmut Kohl dazu bewogen haben, den Weg zur Europäischen Union stets als unumkehrbar zu deklarieren. Mit Beschwörungsformeln wie „Maastricht hat sich bewährt“ versuchte der Kanzler zugleich, die erhitzten Gemüter im eigenen Land zu besänftigen. Kaum hatten die Deutschen nämlich vernommen, daß die Politiker in Maastricht eine Währungsunion für spätestens 1999 anstrebten, zogen sie gegen die Idee des supranationalen Europa ins Feld. „Verrat“, titelte die Boulevardpresse und selbst die FAZ stempelte Kohl als den Kanzler ab, „der die Mark hergab“. Die Kritik, an Stammtischen gerne gehört, kam von allen Seiten – von den Währungshütern aus der Bundesbank, den Sozialdemokraten, den Liberalen, der Wirtschaft und sogar aus den Reihen der Union selbst. Vor allem die erzkonservative CSU blies zu einer Abwehrschlacht gegen eine Brüsseler Euro-Währung: er werde sich mit dem „Esperanto- Geld“ nicht abfinden, tönte etwa der CSU-Rechtsaußen Peter Gauweiler, schließlich würden die verheerenden Umfrageergebnisse belegen, daß die Deutschen die Währungspläne als pure Schnapsidee empfänden. Gauweiler brachte damit nicht nur seinen CSU-Vorsitzenden, Finanzminister Theo Waigel, sondern auch die Bonner Koalitionäre in Verlegenheit. Denn auch vom FDP-Grafen Lambsdorff ist bekannt, daß er nicht gerade zu den Freunden der angestrebten Europäischen Währungsunion zählt. Und der bayerische FDP-Dissident Manfred Brunner, von seinem EG-Kommissionsleiter Martin Bangemann geschaßter Kabinettschef, drohte dem Bonner Establishment gar, notfalls eine „D-Mark-Partei“ zu gründen.
Dabei sollte gerade das Euro- Geld der „Tiger im Tank“ Europas werden – so jedenfalls hatte es sich zumindest Jaques Delors ausgemalt. Eine gemeinsame EG-Wärung, so der EG-Kommissionspräsident, werde zwangsläufig die Integration in anderen Bereichen nach sich ziehen. Doch schon an der Währungsmatura, für das Jahr 1986 festgelegt, droht der hochfliegende Plan zu scheitern. Die Staats- und Regierungschefs, allen voran Kanzler Kohl, hatten dafür knallharte Konvergenzkriterien in den Maastricht-Vertragstext diktiert (siehe Kasten). Doch nimmt man das letzte Jahr, so erfüllen lediglich Frankreich, Dänemark und Luxemburg die Bedingungen. Belgien, Italien und selbst Deutschland, sonst strenger Kämpfer für Stabilität, fallen allein schon wegen der horrenden Staatsschulden glatt durch – ganz zu Schweigen von Spanien, Portugal und Griechenland, die nicht einmal den Hauch einer Chance besitzen, die Hürden ohne tiefgreifende Spar- und Austeriätsprogramme zu nehmen. Und die Turbulenzen auf den Währungsmärkten haben selbst den letzten Optimisten klargemacht, daß sich die Volkswirtschaften in Europa keineswegs im Gleichklang entwickelt haben und der einheitliche Währungspflock eigentlich ins Märchenreich gehört. Schon jetzt häufen sich die Stimmen, die die Wärungsunion am liebsten auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben würden.
Doch unter den deutschen Euro-Skeptikern wird nicht nur mit dem verhängten Todesurteil für die D-Mark hart ins Gericht gegangen. Es geht ihnen auch um die bevorstehenden Finanztransfers in die ärmeren EG-Mitgliedsstaaten, die vor allem von Deutschland als größtem EG-Nettozahler berappt werden sollen. Die mit der deutschen Einheit aufgetürmten Schuldegebirge ließen einen derart üppigen EG-Kohäsionstopf nicht zu, so wird argumentiert. „Wir sind nicht Europas Weihnachtsmann“, machte etwa der bayerische Wirtschaftsminister August Lang klar. Eine Erhöhung des EG-Haushalts hat der Bonner Kassenwart Theo Waigel bereits rundherum abgelehnt. Wenn's ums Geld geht, hört der Spaß eben auf. Erwin Single
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