: Lieber den Fisch in der Hand!
■ Glocke, Übersee-Magazin und andere einstürzende Altbauten: Kultursenatorin Helga Trüpel zu Fragen der Zeit
Helga Trüpel: „Das sind ungefangene Fische“ (Abb. Nagatini/Tracey: Great Yellow Father)
taz: In einigen Fällen haben Sie aus der Not des Sparens eine Tugend gemacht und energische Zeichen gesetzt gegen dieses obwaltende System des „Wir machen erstmal Schulden, und Vater Staat wird sie schon übernehmen“. Zum Beispiel beim neuen Generalintenanten es Bremer Theaters, der den von ihm akzeptierten Haushaltsrahmen in Millionenhöhe zu überziehen versuchte. Mit der Idee, 20 „abgeordnete“ 20 Lehrer in die Jugendbibiotheken umzudirigieren, haben Sie die Schließungen verhindert, gespart und einen jugend- und kulturpolitischen Akzent gesetzt. Das ist alles sehr löblich...
Helga Trüpel: Ja, das finde ich auch! Das lobt nur keiner.
Doch, doch. Aber ich möchte Sie fragen nach einigen Entscheidungen, die mir planlos und deshalb teuer vorkommen. Beispiel eins: das Magazin des Überseemuseums an der Hochstraße, in dem es ausgetretene Konservierungsgiftstoffe gibt. Sie haben Gutachter angefordert und das Haus geschlossen und damit die seit langem bekannte Lage dramatisiert. Jetzt erwägen Sie, die Entscheidung steht ja noch aus, den Abriß und einen Neubau. Frage: Warum wird nicht erstmal das Fenster aufgemacht, um die 'Gaswolke– zu entlassen, sondern an neue Verschuldung gedacht?
Wenn lüften helfen würde,
hierhin bitte das
Foto mit den Fischen
(muß leider links
beschnitten werden)
würde gelüftet werden. Mein In- formationsstand ist, daß das nicht reicht, weil die toxischen Stoffe in die Gebäudemauern gedrungen sind. Wir haben ja seit Anfang dieses Jahres Untersuchungen angestrengt, und da waren die Werte nicht so hoch, wie wir befürchtet hatten, aber zu hoch, um das auf Dauer zu akzeptieren. Man wußte ja auch schon lange, daß das untragbar ist. Und dann kam hinzu: „Gift im grünen Kulturressort“! Das war so, was wir uns als Schlagzeile im im Weserreport vorgestellt haben. Von daher muß ich sehr vorsichtig sein. Wir kennen ja die Dynamik, die Hysterie annimmt, wenn sie öffentlich wir. Und daher gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder - un das wäre für uns relativ billig — ein privater Investor baut uns das Ding, oder es muß öffentlich finanziert werden, und das ist die Frage, wo kommt das Geld her.
Ist es so, daß die Gutachter gesagt haben: Sanierung ist nicht möglich, oder ist das Ihre politische Entscheidung?
Ich kann nur sagen: Ich erkundige mich noch einmal. Mein Kenntnisstand bis jetzt ist so: Sanierung ist teurer als Neubau. Wenn das so ist, dann ist es politisch sinnvoll, einen Neubau anzusteuern.
Ja, wenn. Mein Eindruck ist aber ein anderer. Der Investor hat in einem taz-Interview vor zwei Jahren schon Interesse bekundet an dem Gebäude, das eine Brücke darstellen würde
zwischen seinem Hillmann- Center, seinem Asian Pacific Center und der Bahnhofsvorplatzbebauung, die ihm vorschwebt. Ich habe den Eindruck, er benutzt Sie und die „Giftgefahr“ für seine Expansion auf zentralem Bremer Grund und Boden, und der Bremer Staat muß das dann abstottern.
Aber die Konditionen wären für uns extrem günstig.
Auch dann finanziert der Investor den Bau nur vor...
Nein, er würde den Bau finanzieren. Und es gäbe einen Erbpachtzins und einen dreißigjährigen Mietvertrag.
Das wäre nichts anderes als ein Abstottern von Schulden, die man jetzt macht und später bezahlt.
Es geht aber auch um die Höhe der Kosten, und das wäre durchaus akzeptabel.
Aber in die Augen fällt, daß für etwas, das zwar nötig aber kein kulturpolitischer Schwerpunkt ist, ein teurer Neubau erwogen wird.
Was ist denn die Alternative? die guten, Bestände, die da jetzt eingemottet sind, gehen kaputt. Für eine Auslagerung weiter draußen fielen ungeheure Transportkosten an, wenn man aber im Überseemuseum selber lagern müßte, fehlte der Platz für Wechselausstellungen.
Die Alternative wäre Sanierung.
Mein Informationsstand bis jetzt ist, daß das teurer wäre, aber ich werde mich nochmal erkundigen.
Beispiel zwei: die Glocke. Sie haben 30 Millionen für die Sanierung dieses Konzertsaales im Senat durchgedrückt, ungefähr dreimal soviel, wie vor einigen Jahren der Bau des neuen Schauspielhauses gekostet hat.
Davon kommen zwei Millionen aus den Mitteln der Kulturbehörde, 14 Millionen aus dem Wirtschaftsentwicklungsplan und bis zu 14 Millionen aus der Stiftung wohnliche Stadt.
Dennoch: Warum wird soviel Geld für eine Flickschusterei ausgegeben? Denn entgegen aller Hochloberei ist in der Glocke die Akustik nur vorne in der Mitte gut. Es gibt aber gleichzeitig die Initiative, eine richtige Philharmonie zu bauen.
Ja, da freue ich mich drauf. Da freue ich mich wirklich drauf, wie die Herren diese gut 100 Millionen zustande kriegen. Man zu, sage ich nur. Der Staat wird sich daran nicht beteiligen, das können wir gar nicht...
Weil er alles Mobilisierbare in die Flickschusterei gesteckt hat!
Ich halte das nicht für Flickschustrei. Ich halte diese Philharmonie für einen schönen Traum. Die 30 Millionen für die Glocke in eine Philharmonie zu stecken, ist verlorenes Geld, denn die restlichen 70 Millionen sehe ich nicht. Das ist der erste Punkt. Und dann finde ich auch wirklich, daß die Glocke ein schöner Saal ist und auch weit über Bremen hinaus bekannt.
Kunststück, weil es der einzige Konzertsaal ist!
Wir werden so schnell keinen anderen haben.
Es sei denn, man zielte ihn an.
Vom Staat aus 30 Mio. in eine Idee zu stecken, wo ich nicht einmal weiß, ob ich ihr eine Realisierungschance von 30 oder 20 Prozent zugestehe, das ist mir ein ungefangener Fisch. Und dann lieber der Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Und ich möchte auch nicht bis zum Jahr 2002 oder länger warten, bis man mal wieder ein vernünftiges Konzert hören kann.
Das meine ich mit „aus er HÜfte geschossen“. Mit der knarzenden Glocke leben wir schon sehr lange. Warum arbeitet man nicht auf einen richtigen Konzertsaal hin?
Ich halte das nicht für Flickschusterei, sondern für eine richtige Investition in diesen Konzertsaal. Interview: Uta Stolle
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen