: Schauerdrama grau in grau
■ Rolf Winkelgrund inszeniert „Wassa Shelesnowa“ am Maxim Gorki Theater
Am Ende sitzt sie auf ihrem abgewetzten Polsterthron, Wassa Shelesnowa, die zweite Gorkische Mutter, und lacht ein heiseres, freudloses Lachen. Ihre beiden Söhne hat sie um die Erbschaft betrogen, den einen zudem ins Kloster geschickt und dem Schwager ins Jenseits verholfen. Und all das, um das Kapital zusammenzuhalten, den Familienbetrieb zu retten und so weiterzumachen wie bisher: Geld scheffeln zum angeblichen Wohle der Kinder.
„Wassa Shelesnowa“, dieses selten gespielte Schauerdrama über den kleinbürgerlichen Tanz ums Goldene Kalb, zeigt das Maxim Gorki Theater in der ersten Fassung von 1910. Rolf Winkelgrund hat den Text eingerichtet; anders kann man das nicht nennen, denn keine der von Gorki skizzierten Geschichten erzählt er weiter, als es geschrieben steht. Man hätte einen Geschlechterkampf inszenieren können, eine unterdrückte Revolution, hätte die im Munde geführte Mutterliebe als Haß entlarven können, ja selbst zur Komödie oder einem Polit-Krimi taugt der Stoff – nur eines bekommt ihm nicht: maßvoll vom alten Blatt gespielt zu werden.
Schon bei ihren ersten Auftritten geben die Figuren sich in allen Teilen zu erkennen; was man nicht gleich sieht, entwickelt sich auch nicht, aber zur handfesten Charge reicht es dann auch wieder nur im Einzelfall. Beispielsweise bei Schwager Prochor, der später gemeuchelt wird, weil er sein Geld aus der Firma abziehen will. Hansjürgen Hürrig verleiht diesem kauzigen Lustgreis eine krächzende, gewissermaßen parfürmierte Stimme und läßt dabei die sicher arthrosegeplagten Hüften schwingen und die morschen Knie federn. Ansonsten unterstützt nur Nicole Haase in der Winzrolle der Dunjeka die Bemühung, das, was nicht sinnfällig werden will, wenigstens vergnüglich zu gestalten. Als devote arme Verwandte huscht sie durch den Raum wie ein Nilpferd auf Zehenspitzen, den plumpen Körper zu einem entschuldigenden Häkchen verkrümmt.
Die Kapitalistenmutter Wassa gibt Ursula Werner. Sie will die zwei Gesichter der Shelesnowa zeigen, die Frau und Mutter hinter der knallharten Geschäftsfrau. Aber um wirklich einen doppelten Boden anzudeuten, hätte sie einige Grautöne in ihre Darstellung bringen müssen. Doch grau ist nur ihr Kostüm.
Mit Ausnahme der Tochter Anna (Ruth Reinecke), die zu Besuch kommt, um der Mutter im Kampf gegen den Eigensinn der Söhne beizustehen, sind auch alle anderen grau gekleidet. Grau, grau, grau ist alles, was man sieht. Auch das Bühnenbild von Achim Römer variiert die Farben Mausgrau und Steingrau allenfalls mit einem kräftigen Industriegrau. Eine Aluminiumstange durchbohrt die Szene über den Köpfen der Schauspieler von der Mitte der Bühne aus nach schräg links hinten und führt durch eine Milchglasscheibe in den mit gräulichem Schnee bedeckten Garten. Gemeinsam mit einer roten Kordel, die verheißungsvoll, aber unbespielt in der Nähe der Rampe vom Schnürboden baumelt, sind das die wahren Rätsel der Inszenierung: martialische Endzeitrequisiten, denen vom Spiel her nur Katka Kurzes Natalja entspricht. Als Frau des älteren Sohnes Semjon (Ulrich Müller), der in Filzschuhen über die Szene schwänzelt und, auf die Erbschaft spekulierend, mit seiner Dummheit kokettiert, verkörpert sie eine hysterisch-fanatische Masse Mensch, die auf einen Messias wartet, um ihrem Leben einen Sinn zu geben. Heutzutage müsse man in der Stadt wohnen, sagt sie, dort, wo viel Militär und Polizei sei. Nicht Lenin, sondern Stalin wird ihr Heilsbringer werden, aber das weiß sie noch nicht im Jahre 1910, und der Regisseur hat nichts weiter darüber zu sagen.
Rolf Winkelgrund hat „Wassa Shelesnowa“ inszeniert, ein Drama, mit dem er offenbar wenig anfangen kann. Mal läßt er Tschechow spielen, dann probiert er ein bißchen Strindberg, produziert zwischendurch eine Klamotte und immer wieder – Langeweile. Dem Premierenpublikum hat's trotzdem gefallen. Es spendete kräftigen, für Ursula Werner und Hansjürgen Hürrig geradezu jubelnden Beifall. Petra Kohse
„Wassa Shelesnowa“ von Maxim Gorki. Regie: Rolf Winkelgrund, Bühne: Achim Römer, Kostüme: Karin Seydte, Darsteller: Ursula Werner, Ruth Reinecke u.a.
Weitere Vorstellungen: 9., 11., 25. und 29.12., Maxim Gorki Theater.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen