: Auch in Jugendbanden gibt es Samariter
■ In Neukölln sammeln arabische, türkische, libanesische und deutsche Jugendliche Altkleider für bosnische Flüchtlinge/ „Die Kids wollen was Sinnvolles machen“
Neukölln. Ob sie denn auch Schuhe nehmen würden, fragte eine Schülerin, die eine dicke Plastiktüte voller Altkleider für bosnische Flüchtlinge abgab. Eine alte Dame lieferte gleich den Koffer mit ab. Der den Jugendlichen geliehene VW-Bus, mit dem sie gestern nachmittag vor dem Rathaus Neukölln auf Spender warteten, füllte sich zusehends.
An der seit über einer Woche laufenden Sammelaktion beteiligten sich gestern etwa 25 arabische, türkische, jugoslawische, libanesische und deutsche Jugendliche. Sie gehören zu vier Jugendbanden, die normalerweise ihre Tage auf der Straße verbringen. „Die Kids wollten einfach mal wieder etwas Sinnvolles machen“, sagte Streetworker Wolfgang Sturzbecher. Er war in diesem Jahr mit einer Gruppe Jugendlicher aus Ex-Jugoslawien in den Kriegsgebieten, um Verwandte nach Berlin zu holen. Im Anschluß daran entstand die Idee, den Menschen dort zu helfen. Zusammen mit einigen Fachhochschülern organisierten sie eine große Altkleidersammlung vor allem in ihren Schulen, aber auch bei Privatleuten. Eigentlich wollten sie die Sachen auch selbst runterfahren, aber die kroatische Mission erteilte ihnen keine Einreisegenehmigung – ihr war das Nationalitätengemisch nicht geheuer. Heute werden die Klamotten der Bosnien-Hilfe übergeben, die sie direkt in die Flüchtlingslager in Bosnien und Herzegowina fahren und dort verteilen will.
Von den Jungen im Alter von zwölf bis 21 ist kaum einer noch nicht wegen Körperverletzung, Raub oder Vergewaltigung auffällig geworden. Sie stammen aus sozial schwachen Familien, entweder sind beide Eltern den ganzen Tag nicht da, oder sie sind arbeitslos. „Hier wissen sie endlich, daß sie wichtig sind“, beschrieb Sturzbecher die Motivation der Kids. Dieses Gefühl vermittelten ihnen sonst rechtsorientierte Gruppierungen wie Wehrsportgruppen oder Graue Wölfe, die daher gute Chancen hätten, die unpolitischen Jugendlichen anzuwerben. Den krönenden Abschluß dieser Aktion bildet am Wochenende ein Fußballturnier. Zwei Mannschaften der Jugendlichen treten gegen ein Team aus Polizisten und eins aus Sozialarbeiterinnen an. Bei anschließendem Kaffee und Kuchen gibt es zusätzlich Gelegenheit, sich die gut gehaßten anderen aus der Nähe anzuschauen. cor
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