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: Reden sehen

■ "Kennzeichen D"

„Kennzeichen D“, ZDF, Dienstag, 21.00 Uhr

Die Masken der politischen Klasse sind eine Funktion ihres Opportunismus. Wenn sie sie fallen lassen, ist es für die Regierten in der Regel zu spät. Hitler versprach, nur legal an die Macht kommen zu wollen und die Verfassung zu respektieren. Schönhuber ist heute ebenfalls – öffentlich – gegen jede Gewalt: noch. Wer darauf hereinfällt, ist selber schuld – Geschichtslektion verschlafen. Wer noch der Meinung sein sollte, Wolfgang Schäuble sei doch, alles in allem, ein vernünftiger, akzeptabler, ausgewogener Mann der Mitte, der hat „KennzeichenD“ vom Dienstag nicht gesehen. Und man mußte das sehen: Keine textliche Nachschrift kann diese Gestensprache wiedergeben.

Schäuble vor Burschenschaftlern in Wichs und Montur auf der Burg von Eisenach. Da spricht er über diesen historischen Ort: Man sei hier in dem, was fälschlich der Osten Deutschlands hieße – donnernder Applaus der Schmiß-geschmückten Herrengesichter. Schäuble greift zum Wasserglas, trinkt betont langsam, um den Beifall voll auszukosten, befriedigt über den Publikumserfolg seines nicht ausgesprochenen, aber von jedem verstandenen Verweises darauf, daß das letzte Wort der Geschichte noch nicht gesprochen sei. Eisenach, so Schäuble, liege jedenfalls in der Mitte Deutschlands und Europas. Und dann eine vielsagende Handbewegung, die das Ganze auf seinen Punkt bringt: Die Ostgrenze des vereinten Deutschlands wird eines Tages zu revidieren sein. Wolfgang Schäuble, das post-Kohlsche Aushängeschild der CDU, hat nichts Inkriminierbares gesagt, niemand wird ihm nachweisen können, er habe rechts-nationale Sentiments bedient, aber jeder, der ihn reden sah, hat die Botschaft verstanden. Ekkehart Krippendorff