piwik no script img

■ ScheibengerichtVinko Globokar Les Emigres Ensemble Musique Vivante

Das Thema ist aktuell, war immr aktuell und wird wohl immer aktuell bleiben. Emigration, der Aufbruch ins zumeist feindliche Unbekannte, läßt aus den Menschen unfreiwillige Eindringlinge werden, selbst dann, wenn sie herbeigebeten werden – wie einst die Türken nach Deutschland. Zur Emigration gehören zwangsläufig Grenzen. Hoheitliche Grenzen, in Form von Einwanderungsbestimmungen und Legitimationszwängen, und kulturelle, die der fremden Sprache, der ungewohnten Rituale und der unbekannten Schlüsselworte. Diese Grenzen sind meist weniger fließend als unumstößlich gemauert.

Das Schicksal aus Entwurzelung und Ausgrenzung als Thema zu gestalten, ohne in bloß allgemeines Pathos zu fallen, ist eine äußerst anspruchsvolle Aufgabe. Sie ist dem Komponisten Vinko Globokar nur halb gelungen. Im „Misere“, dem ersten Teil des Werkes, montiert er Passagen aus Briefen und Interviews von Emigranten verschiedener Zeiten und Sprachen, die von Sprechern verlesen oder skandiert werden. So erreicht er zwar eine Desorientierung, die der eines Fremden ähneln mag, doch in der stereotypen Abfolge von Wortbeiträgen und Musikzitatschnippseln vor dem Hintergrund eines beständig raunenden Orchesters wirkt die Absicht allzu plakativ.

Der Teil „Sternbild der Grenze“ zeichnet sich zwar durch differenziertere Orchesterbehandlung aus, verliert aber durch den artifiziellen, hochsymbolischen Text (gestiftet von Peter Handke: „Der Dichter nimmt die Kastanie und sagt: Ein Zeichen!“) enorm an Schlagkraft. Die Problematik verdunstet in ästhetischer Raffinesse.

Am überzeugendsten wirkt das Opus, wo die Mitbringsel der Emigranten, die Gesänge ihrer Heimat, der Klang ihrer Sprache mit dem blockhaften Orchester ringt, das „wie eine rollende Straßenwalze alle Logik und Gerechtigkeit zermalmt“ (Globokar). Dann wird die Tristesse der Fremde, das Ausgeliefertsein erst greifbar.

HMC 905212

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen