: Scheibengericht ... inwendig voller Figur... Tempora
„Des Dichters Pflug“, ein Stück aus Klaus Hubers Kammermusik, ist, nach einer Metapher von Ossip Mandelstam, ein „Gedicht in der Zeit“. Klaus Huber beackert das Zeitfeld seines Stückes mittels eines Streichertrios. Auf den ersten Blick ist es eine Brache. Liegeklänge, durch fragile Tremoli aufgerauht, durchziehen das Stück in einförmigen Spuren. Eingesprengt sind zarte Pizzikati und merkwürdige Schnarr- oder Reibeklänge. Manchmal läßt der Cellist brummend ein russisches Wort fallen – Samenkörner, aus denen vielleicht einmal Gedichte wachsen. Diese karge Klanglandschaft, auf deren einförmigem Grund (der nie derselbe ist) sich weit der Horizont spannt, gewinnt durch das Spiel des Trio Recherche eine berückende Atmosphäre.
Auch „Schattenblätter“, ein Trio für Baßklarinette, Cello und Klavier, ist ein Gemälde in gedeckten Farben. Schattenblätter sind die zwar größeren, aber auch blasseren Blätter von Bäumen und Büschen, die nicht dem grellen Sonnenlicht ausgesetzt sind und von den mannigfaltigen Lichtnuancen des Schattens leben. Die Komposition gestaltet dieses Thema in Grisaille-Technik. Von den erstickten Tönen des präparierten Klaviers bleibt kaum mehr als der Anschlag und Nachhall der Teiltöne – mehr Fläche als Körper. Baßklarinette und Cello hauchen ihre Figuren in zarten Farben, und nur gelegentlich, wenn der Wind die deckenden Sonnenblätter beiseite weht, bricht das grelle Licht auf die empfindlichen Blätter. Dann explodiert ein Klarinettenton oder ein wuchtiger Klavierakkord, und erschreckt zuckt das geöffnete Ohr zusammen.
Klaus Huber schreibt aber nicht nur leise Töne. In den Oratorien, in denen er seine religiöse Haltung zum Ausdruck bringt (keine „Bekenntnismusik“!), kommt oft der große Apparat zur Anwendung. „... inwendig voller Figur...“ ist von Wergo als CD wiederveröffentlicht worden (sehr verdienstvoll, es handelt sich, wie auch im Falle Holligers, um Aufnahmen, mit denen ganze Generationen von Freunden der Neuen Musik groß geworden sind). Ein Werk für Chor und Orchester, das sich auf das berühmte „Traumgesicht“ Dürers bezieht und die apokalyptische Vision ebenso festhält wie die Hoffnung, daß Gott alles zum Besten wenden möge. Das sagt sich so schlicht. Wie komplex es aber gedacht und komponiert ist, ist dem Stück anzuhören.
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