: Das Unbehagen in der Subkultur
„Spielhölle“ – ein Festival zum Thema Ästhetik und Gewalt in Frankfurt ■ Von Martin Pesch
Die konservativen Lokalblätter fragten mal wieder aus vorderster Front: Wie kann man sich nur, angesichts einer durchs Land schwappenden Welle von Aggressivität, mit Kunst befassen, zumal solcher? Warum werden gerade jetzt Steuergelder ausgegeben, um einigen Intellektuellen (zur Zeit wieder ein Schimpfwort) die Möglichkeit zu geben, sich mit „Ästhetik und Gewalt“ zu beschäftigen? Die hier durchscheinenden „deutschen Idealismen“ (D. Diederichsen), denen zufolge die Ästhetik das Feld der Kultur, die Ethik das der Politik zu regeln habe, verhindern anscheinend noch immer bei vielen die Wahrnehmung der Wechselwirkung von Kunst und Politik und der sich in ihnen zeigenden Formen von Gewalt.
Ein Ziel von „Spielhölle“ war es, dieser idealistischen Falle zu entkommen. Die mit städtischer Unterstützung vom Avantgardekunst-Verein „707“ und der Kulturzeitschrift Heaven Sent organisierte Veranstaltung (vom 26. bis 29.November in Frankfurt/M.) war von dem Anspruch bestimmt, das Thema „Ästhetik und Gewalt“ in Theorie und Praxis an über die Stadt verteilten Orten zu behandeln. So war man als Interessierter ständig unterwegs, pendelte zwischen Vortragsreihe, Diskussionszirkel, Filmschau, Kunstausstellung und Rockkonzert. Auf dem Programm — fast ausschließlich von Künstlern, Gruppen und Theoretikern getragen, die in den letzten Jahren die subkulturelle Diskussion bestimmt hatten — standen nicht gerade feuilleton- kompatible Kunstgattungen wie Comic, Splatter oder Death Metal, was bis zuletzt „erhebliche Bedenken“ beim Frankfurter Magistrat auslöste. Besonders unaufgeschlossen stand man dem Versuch gegenüber, eine Techno-Strobelight-Installation in einer stillgelegten Fußgängerunterführung in Betrieb zu nehmen. Erst die Kulturdezernentin Linda Reisch sorgte für Aufatmen, als sie zur Eröffnung bekanntgab, ein Verbot habe in letzter Minute abgewendet werden können.
Zum Glück, muß man im nachhinein sagen. Denn indem diese von Graffitis übersäte, hauptsächlich von der Drogenszene besetzte und durch Holzverschläge von der City getrennte B-Ebene quasi als „Spielhölle“ genutzt werden konnte, wurde dieser urbane Ort überhaupt erst wieder als soziale Stätte erkennbar. Plötzlich war es möglich, die städtebauliche Gewalt wahrzunehmen, ohne sie zugleich durch die eigene Besetzung therapeutisch zu befrieden.
Die hier anklingende Indienstnahme von Ästhetik zur Sichtbarmachung verborgener Gewalt war auch eines der Hauptthemen in der von Gertrud Koch moderierten Abschlußdiskussion. Titel: „What's left, what's right?“ Auf dem Podium: Bodo Morshäuser (Autor des Essays „Hautsache Deutsch“), Dietmar Dath, Tobias Levin (von der Band Captain Kirk &) sowie Diedrich Diederichsen. Levin war es, der dem nicht hintergehbaren Autonomiecharakter der Kunst zum Trotz mit der Frage herauskam, wie man in der aktuellen politischen Lage antifaschistische Einstellungen explizit machen könne, und zwar innerhalb der eigenen Produktion. Im Anschluß daran war immer wieder von „Kontextualisierung“ die Rede: bestimmte künstlerische Formen können nur in bestimmten historischen und sozialen Bezügen funktionieren und diskutiert werden. Diedrich Diederichsens Beiträge machten sich an der Frage fest, warum der Teil der Linken, der sich während der letzten Jahrzehnte mit avancierten Kunstformen auseinandergesetzt hat (und in der darin sich ausdrückende Drastik — sei es im Splatter- Film, Punk oder Death Metal — eine Form der Rebellion gegen den kapitalistischen Status quo erkennen wollte), sich heute von diesem Paradigma verabschieden muß: Rechtsextreme Rostocker Jugendliche mit Malcolm-X-Mützen im Fernsehen machten das Festhalten an einer subkulturellen Revolte as usual unmöglich. An Details wie diesen lasse sich ablesen, wie ein sicher geglaubter historischer Zusammenhang von avancierter Kunst und politisch korrekter Haltung verlorengegangen ist. Das wiederum mache die Frage unumgänglich, wie Künstler die Drastik ihrer Produktion so codieren können, daß sie von jugendlichen Nazis nicht mehr zu nutzen ist. „Kontexte“ als Schutzmantel?
Daß die künstlerische Thematisierung von Gewalt und ihre drastische Darstellung einen anti-totalitaristischen (und somit implizit gegen rechts gerichteten) Charakter haben kann – auch das konnte „Spielhölle“ an einigen Beispielen zeigen. Der Film des Japaners Tsukamoto „Tetsue“ etwa zeigte in einer kaum zu überbietenden Drastik die Metamorphose eines Menschen zur Maschine. In einem ununterbrochenen Sturm aus Bildern und Musik machte der Film die Inkorporierung ökonomischer und technologischer Zwänge sinnlich wahrnehmbar. Um Ähnliches schien es beim Konzert von Alboth! zu gehen, einer Schweizer Band, die in einer Mischung aus Hardcore und Kammermusik subtil die Hörerwartung unterlief: jeder nächste Moment und sein eventueller Schrecken sollen in Form von noise antizipiert werden. „Tetsuo“ und Alboth! waren unbestrittene Höhepunkte des Festivals, zugleich aber auch phänomenale Beispiele dafür, wie komplex und ungelöst der Zusammenhang von Ästhetik und Gewalt ist.
Dieser grundsätzliche Zweifel ändert aber nichts an dem Erfolg von „Spielhölle“ — fast regelmäßig waren die Veranstaltungsräume überfüllt. Auch wenn man im Hinblick auf das Filmprogramm etwas zuviel versprochen hatte und die gesamte Veranstaltung an einer Reihe krankheitsbedingter Absagen litt, ist mit dem Minietat von 65.000DM ein anspruchsvolles internationales Programm zustandegekommen. Am Ende konnte man immerhin die Gewißheit mitnehmen, daß der linke Idealismus, demzufolge der politisch korrekte Künstler allein schon durch Correctness die Absolution für sein Produkt (Platte, Film oder Symbol) einheimst, dahin ist.
In Zukunft müssen Diskussions- und Projektzusammenhänge das seit Jahren auf- und abtauchende Thema „Ästhetik und Gewalt“ aus den hier zeichen- und simulationstheoretischen, dort sozialpädagogischen Befriedungsversuchen befreien und es neu auf seine jeweils aktuellen politischen Implikationen befragen. Im besten Falle war „Spielhölle“ dafür ein Anfang.
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