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Unerträglich und empörend ist es...-betr.: "Bewaffnete Verteidigung gegen Rechts", taz vom 25.11.92 / 26.11.92

betr.: „Bewaffnete Verteidigung gegen Rechts?“,

taz vom 25.11.92

[...] Unerträglich und empörend ist es, daß hier Menschen umgebracht und bedroht werden, weil sie Ausländer sind oder Behinderte oder weil sie anderen Minderheiten angehören.

Unerträglich und empörend ist es, daß Ausländer in unserem Staat immer noch kein Wahlrecht haben und daß es immer noch nicht die Möglichkeit der doppelten Staatsbürgerschaft gibt.

Unerträglich und empörend ist es, daß Politiker in diesem Land erst dann „Betroffenheit“ zeigen, wenn sie das deutsche Image im Ausland bedroht sehen (Geldverlust!), nicht aber dann, wenn es „nur“ um die Existenz von Menschen geht, die in diesem Land leben.

Unerträglich und empörend ist es, daß durch eine völlig überflüssige und nichtsnutzige Asylgesetzdebatte rechtsradikalen Strömungen in die Hände gearbeitet wird, daß man ihnen damit entgegenkommt und somit Konsens signalisiert.

Unerträglich und empörend ist es, daß Hunderte von Parlamentariern und Politikern diese überflüssige und gefährliche Diskussion in Bonn führen, anstatt sich in ihren Wahlkreisen klar und eindeutig schützend vor Ausländer zu stellen und deutliche Signale der Hilfsbereitschaft zu setzen, indem sie alle materiellen und finanziellen Mittel zur Verfügung stellen, um die Situation für Asylsuchende erträglich zu machen und um deren Anerkennungsverfahren auf der jetzt gegebenen rechtsstaatlichen Grundlage unter Beachtung von Menschlichkeit und Menschenwürde möglichst zügig zu verhandeln.

Unerträglich und empörend ist es, daß diese Politiker immer noch so tun, als sei eine „Asylantenflut“ für die sozialen Schwierigkeiten verantwortlich, die in Wirklichkeit der totalen Unfähigkeit ihrer eigenen Politik entspringen.

Unerträglich und empörend ist es, daß die Politiker 13.000 Gefangene unter todbringenden Verhältnissen in serbischen Lagern verkommen lassen, anstatt ihnen unbürokratisch die lebensrettende Aufnahme anzubieten.

Unerträglich und empörend ist es, daß das wirtschaftlich unter größten Schwierigkeiten leidende Ungarn eher bereit ist, ein Kontingent an Flüchtlingen aufzunehmen als die reiche (ja! trotz aller Belastungen: reiche!) Bundesrepublik Deutschland.

Kurz und schlecht: unerträglich und empörend ist es, daß diese Regierung, diese Politiker, diese Parteien nur das unerträglich und empörend finden, was ihr eigenes properes Image ankratzen könnte; daß ihnen völlig die Maßstäbe dafür abhanden gekommen sind, was wirklich unerträglich und empörend ist.

Ralph Giordanos Reaktion im Gefühl des Bedrohtseins mag manchem unakzeptabel und überzogen erscheinen; sie als unerträglich zu bezeichnen und mit Empörung darauf zu reagieren – dazu gehört schon eine gewaltige Portion an Ignoranz dessen, was in unserem Land wirklich mit diesen Attributen belegt werden sollte. Ulla Schacht, Bremen

betr.: „Selbstschutz auch mit Waffen“ (Ralph Giordano schreibt an Helmut Kohl), taz vom 25.11.92

Ralph Giordano hat auf jeden Fall recht, wenn er der Bundesregierung Mittäterschaft, wenn nicht gar die Hauptschuld an den abscheulichen Verbrechen an meinen nichtdeutschen MitbürgerInnen und um Asyl suchenden Hilfsbedürftigen gibt. Diese PolitikerInnen, diese Exekutive und mit ihr die Medien, die das augenblickliche Haßklima herbeigeführt haben, müssen angeklagt werden. Das, was im Parlament und in den benannten Medien zur Frage des Asyls seit langer Zeit geschwätzt und geschrieben von rechten Intelligenzbestien vorgekaut wird (lesen Sie doch mal zur Abwechslung Junge Freiheit oder Criticon), das ist Wegbereitung für den Faschismus, den wir hier in demokratisch- rassistischer Form jetzt erleben.

Nicht schärfere Gesetze, mehr Polizei oder sonstig dummes Zeug sind notwendig, Groß(kotz)deutschland hat sofort über den aggressiven Kolonialismus, an dem es maßgeblich beteiligt ist, zu diskutieren. Und hier wären die Medien gefragt, besonders die, die sich als „links“ bezeichnen. Der kapitalistische Kolonialismus ist Ursache für das Elend in der „Dritten Welt“, und dieser Grund muß beseitigt werden. Alles andere Politiker- und Mediengebrabbel ist pure Heuchelei!

Ich jedenfalls schäme mich, zu diesem „Volk“ qua Geburt gehören zu müssen. Gerhard Kern, Anti-Klerikale

anarchische Zeitschrift,

Morbach

Ich erinnere mich. Vor 15 Jahren auf dem Schulhof kursierte ein Witz. „Was ist der Unterschied zwischen Türken und Juden? Die Türken haben's noch vor sich.“ Kindermund. Daraus sprechen die Eltern. Der Witz zeigt, wie spielerisch leicht sich Denkmuster über Generationen in die Hirnhaut eingeprägt haben. Wenn man lacht, hat die Verachtung gewonnen.

Es gibt keine Relativität in der Beurteilung der deutschen Geschichte. Genauso, wie es keine relativen Toten gibt. Ein ganzes Volk hat die erste Möglichkeit vertan, sich selbst zu therapieren. Die Psychose setzte sich fort in der Teilung des Staates und der Aufspaltung des Selbst, dessen Teile sich repräsentieren in einem minderwertigen Osten und einem überlegenen Westen. Die Vereinigung von Minderwertigkeitskomplex und Größenwahn gebiert offenen Haß. Unterschwellige Ausländerfeindlichkeit gab es immer, und wer wollte, konnte ihr Anwachsen sehen. Es roch nach „Kristallnacht“. Jetzt trauen sich die Ratten aus ihren Löchern, und ihre Überlebensbedingungen scheinen günstig zu sein. [...]

Jetzt kündigen Juden und Türken an, daß sie sich bewaffnen werden, um sich zu schützen. Das ist verständlich. Wenn Politiker vor einer Eskalation warnen, dann tun sie das aus einem kugelsicheren Glaspalast, der manchen von ihnen schon zu transparent ist. Als in den siebziger Jahren linke Terroristen die Chefetagen bedrohten, mußte der Staat sofort reagieren und die Unantastbarkeit des Rechtsstaats verteidigen. Heute besteht keine Gefahr. Man glaubte sogar, den Terror politisch nutzen zu können.

Die menschliche Psyche ist kein unergründlicher Abgrund. Darum würde ich gerne wissen, über welche Witze die Politiker, die uns heute regieren, zu ihrer Schulzeit lachten. Frank Barsch, Heidelberg

Sehr geehrter Herr Giordano, ich möchte Sie für Ihren Brief an Bundeskanzler Helmut Kohl, der in der taz abgedruckt wurde, beglückwünschen und Ihnen danken. Ich teile voll und ganz Ihre Ansicht, daß die Bundesregierung nicht fähig und vor allem nicht bereit ist, den faschistischen Terror in unserem Land zu stoppen. Auch wenn dieser den führenden Köpfen in der Regierung sowie der CDU/CSU in letzter Zeit zuweilen ein wenig über den Kopf gewachsen zu sein scheint, so wird er doch prinzipiell als Druckmittel gegen den politischen Gegner – der für die Union bis in alle Ewigkeit links verortet wird – in der schmutzigen Debatte um die Abschaffung des Asylrechtsparagraphen eingesetzt.

Es ergibt sich daraus, daß in der Eindämmung und Verhinderung der faschistischen Gewalt auf diesen CDU-Staat nicht zu bauen ist. [...]

Solange von staatlicher Seite allen Ernstes Eier auf Politiker mit Molotowcocktails auf unschuldige Flüchtlinge oder schlafende Ausländerinnen verglichen oder gar gleichgesetzt werden, muß dieser Staat – vertreten durch Regierung, Polizei und Justiz – als Komplize des rassistischen Terrors betrachtet werden. [...] Dominik Haas, Berlin

betr.: „Soll ich zusehen, wie man mich bedroht?“, taz vom 26.11.92

Danke, daß Sie diesen ach so „Zivilisierten“ eine Abfuhr erteilt haben. Danke, daß sie radikal herausgestellt haben, daß es sie gibt: die Täter und die Opfer. Danke, daß Sie das Recht auf Verteidigung verteidigen. Höre ich als Kroatin [...] schon über zwei Jahre die Töne der sogenannten Intellektuellen, daß es sie nicht gibt: die Täter und die Opfer. Ich vernehme angesichts des brutalen Völkermords an meinen muslimanischen Brüdern dumpfe Töne einer verblödeten und verblödenden Ohnmachts- und Betroffenheitsideologie (geschürt durch die Medien): es ist ein Krieg aller gegen alle, die Stämme da unten schlagen sich die Köpfe ein. Wessen Köpfe schlagen die hiesigen Stämme ein? Ist die Arroganz der „zivilisierten“ deutschen Intellektuellen, welche die Menschen in Bosnien „einfach nicht verstehen können, sie haben doch bisher so friedlich zusammengelebt“ (Drewermann Super Star in Tübingen anläßlich der Entgegennahme des Herbert-Haag-Preises), ist also diese Arroganz lediglich eine Gnade der späten Geburt oder eine der lückenhaften Erinnerung, oder sind es ideologische Scheuklappen eines fundamentalistischen Pazifismus? Es gibt sie hier und heute: Völkermord, Vertreibung, Vergewaltigung, Konzentrationslager, die Blut- und Bodenideologie. Es ist durchführbar, machbar: „Die Welt“ toleriert es, verhandelt mit Mördern, schließt die Augen vor Konzentrationslagern.

Und in Deutschland? Wir Türken, Juden, „Ausländer“ jeder Art, sollten wir „ausgeräuchert werden“, eins ist uns gewiß: die „humanitäre Hilfe“ kommt bestimmt, womöglich mit einem protestierend-repräsentierenden(!) Günter Grass an der Spitze! Blanka Galić-Vil, Tübingen

[...] Nach 1945, als langsam die ganze entsetzliche Wahrheit über den Holocaust in das deutsche Bewußtsein sickerte, da war erst einmal totales Entsetzen, Lähmung, Sprachlosigkeit. Doch dann, noch bevor man anfing, über die sogenannte „Auschwitzlüge“ zu sprechen, gab es schon eine andere, gar nicht so selten zu hörende, entsetzlich arrogante Meinung zum Holocaust: Warum hatten sich denn die Juden nicht gewehrt, warum hatten sie sich widerstandslos in die Konzentrationslager, in die Gaskammern verschleppen lassen? Heute nun wirft man Ralph Giordano und damit auch allen anderen bedrohten Menschen in diesem Land vor, daß sie sich bewaffnen, weil sie endlich schmerzlich begriffen haben, daß von diesem Staat und dieser Gesellschaft kein ausreichender Schutz zu erwarten ist, daß ihnen nichts anderes bleibt, als sich selbst zu schützen. Und nun sind sie plötzlich „Machos“!

Sind wir Frauen Machos, weil wir uns bewaffnen, wenn wir nachts im Dunkeln durch einsame Gegenden müssen? Bleiben wir nun besser alle in unseren Wohnungen, damit uns nichts passiert? [...]

Es wird Zeit, daß diese so auf Harmonie und Friede, Freude, Eierkuchen bedachte Gesellschaft endlich wach wird – es könnte nämlich uns alle erwischen, nicht nur unseren Nachbarn. Ursula Vogel, Berlin

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