"Kein Grund für Vertrauen"

■ Jüdische Frauen in Berlin: Trotz der Drohbriefe und des Telefonterrors wollen sie in Deutschland belibene - aber nicht um jeden Preis / Solidarität mit den Verfolgten

Berlin. „Ich habe mir nie vorstellen können, hier in Berlin mit jüdischen Glaubensgenossen zusammenzusitzen und zu beraten, wann der richtige Moment gekommen ist, um zu gehen. Ich könnte heulen.“ Bis vor wenigen Monaten hat Lala Süsskind die rassistischen und antisemitischen Gewaltakte noch für eine vorübergehende Erscheinung gehalten. Doch, gesteht sie, es war wohl Selbstbetrug. Die 46jährige lebt seit über vierzig Jahren in Berlin. Hier hat sie studiert, hier sind ihre Kinder zur Welt gekommen. Engagiert berichtet sie von der Arbeit als Vorsitzende der Berliner Abteilung der „Women International Zionist Organisation“. Ihr Herz hängt an dieser Stadt, doch längst haben bei ihr Verwandte aus Übersee angerufen und gefragt, wann sie ihre Koffer packt. Diese Situation, sagt Lala Süsskind, sei beschämend.

Scham, Wut, Irritation und Angst, die Spannbreite der Gefühle jüdischer BerlinerInnen ist dieser Tage groß. Während die Knesset in Jerusalem über einen Boykott Deutschlands debattiert, und israelische Journalisten jüdische Deutsche zur Auswanderung aufrufen, sind die über 9.000 Mitglieder der Berliner Jüdischen Gemeinde verunsichert.

„Viele Israelis“, erklärt EstherK. „können sich nicht vorstellen, daß man in diesem Land leben kann.“ Die in Köln geborene 23jährige Musikwissenschaftlerin studiert seit drei Jahren in Berlin. Der Holocaust ist ihre politische Erbschaft. Esthers Mutter leidet heute noch unter den Erlebnissen einer jüdischen Kindheit in Nazi- Deutschland. Um so schmerzlicher und beängstigender ist die Wirkung des rassistischen Terrors auf die nun 60jährige. „Im Alter“, sagt Esther, „gewinnt die Erinnerung eine andere Dimension“. Vor allem dann, wenn die Gegenwart Züge der Vergangenheit annimmt.

Für ihre Mutter ist sie die Versicherung des eigenen Überlebens. Esther lebt die verlorene Kindheit und Jugend der Mutter. Ängste, meint die Tochter, tradieren sich. Vertreiben lassen will sie sich nicht, auch wenn sie sich ängstigt und sorgt. „Wir haben hier eine Verpflichtung. Ich würde nicht einfach so aufgrund der Dummheit anderer gehen wollen.“

Bleiben, aber nicht um jeden Preis, will auch Miriam M. Die jüdische Berlinerin studierte Judaistik und ist jetzt aktives Mitglied der Jüdischen Gemeinde. MiriamM. gehört der gleichen Generation an wie Lala Süsskind. Beide haben Kinder und für beide Mütter wird die Frage nach der Zukunft ihrer Töchter und Söhne immer dringlicher. „Ich bin nicht von Angst gefangen“, formuliert MiriamM. nachdenklich, „aber ich bin sehr besorgt. Und ich überlege, ob es für meine Kinder hier eine Zukunft gibt, wenn sie in jüdischer Tradition leben wollen.“ Lala Süsskinds Sohn hat längst seine Konsequenzen gezogen und will im Ausland studieren.

Drohbriefe, Telefonterror und MitbürgerInnen, von denen die Frauen ganz selbstverständlich als Ausländerinnen und „undeutsch“ bezeichnet werden, sind Alltag. Noch hat die Gewalt, unter der die Jüdische Gemeinde in Berlin zu leiden hat, nicht das Ausmaß erreicht, dem Flüchtlinge, Asylbewerber und ausländische BürgerInnen in Deutschland ausgeliefert sind. Doch die drei Frauen empfinden Solidarität mit den Verfolgten und Ermordeten. Man sei eben Expertin auf diesem Gebiet, bemerkt Esther trocken. Und schließlich wäre der Mord an Juden nur logische Konsequenz der Schändung von Friedhöfen und der Zerstörung von Mahnmalen. „Wir können darauf warten, daß Juden bald wieder dazugerechnet werden“, meint Miriam M.

Bea W., eine „Exotin“ unter den Berliner Jüdinnen, hält sich für ein Jahr in Deutschland auf. Die Schweizerin wird am „Jewish Theological Seminary“ in New York zur Rabbinerin ausgebildet. Als ihre Kommilitonen vom Auslandsstudium erfuhren, wurde sie teilweise als Verräterin bezeichnet. Das Mißtrauen amerikanischer Juden gegenüber Deutschland sei groß, aber Bea W. kann es verstehen. „Ich habe keinen Grund“, sagt sie, „den Deutschen zu vertrauen. Aber dieses Mißtrauen in einer nichtjüdischen Umgebung ist nicht auf Deutschland beschränkt.“

Esther, Lala und Miriam werden nicht schweigen. Wenigstens verbal wehren wollen sie sich. Selbstverteidigung bis hin zur Bewaffnung, wie Ralph Giordano ankündigte, lehnen sie für sich persönlich ab. „Ehe es soweit kommt, gehe ich“, ist Miriams klare Aussage. In Esthers Augen ist Ralph Giordanos Aktion ein Hilferuf. Vierzig Jahre lang hätte er sich mit der Definition seiner Angst, mit der Aufarbeitung seiner Geschichte beschäftigt, doch beides sei in Deutschland nicht verstanden worden. „Nun wählt er das drastische Mittel der Waffe, und von den Adressaten wird es wieder nicht begriffen.“

Nicht den Aufruf Ralph Giordanos empfinden die Frauen als unerträglich, sondern die Unsensibilität auf deutscher Seite. Die Umstände, die sie in die Situation bringt, darüber nachzudenken, wie sie sich am besten schützen, und ob sie nicht doch Berlin verlassen sollen, hat längst ihren Alltag verändert. Und das, bemerkt Lala Süsskind, sei „widerwärtig, tragisch und ekelerregend“. Tanja Stidinger