Gutbezahlte Sisyphusarbeit

■ BVG und Reichsbahn geben jährlich 15 Millionen Mark zur Beseitigung von Graffitis aus

Der Kampf gegen Graffitis ist teuer und aussichtslos. Zehn Millionen Mark („mit steigender Tendenz“) gibt die BVG jährlich für die Beseitigung von „Schmierereien und Vandalismus“ aus. Für dieses Geld, so Wolfgang Göbel von der BVG, könnten 20 Doppeldeckerbusse angeschafft werden. „Es ist ein Wettlauf, den wir nicht gewinnen können“, sagt Göbel, „es gibt 12.000 Sprayer in Berlin, und jeder denkt, er ist ein Künstler. Aber es kann ja wohl nicht wahr sein, daß wir kapitulieren, weil wir das Problem nicht in den Griff kriegen.“ An eine auch nur teilweise Legalisierung von Graffitis denkt die BVG nicht. Umfragen unter den Fahrgästen zeigten immer wieder, so Göbel, daß über zwei Drittel der Kunden sich durch die Malereien gestört fühlten. „Außerdem gibt es bei legalen Bildern keine Garantie, daß die nicht wieder von anderen übermalt werden.“ Verstärkte Kontrollen in den Zugdepots haben nach seinen Angaben die Häufigkeit von großflächigen Bildern an den Zügen zurückgehen lassen.

Die Reichsbahn, die in Berlin für die S-Bahn – außer der S1 und der S2 – zuständig ist, plagen ähnliche Sorgen. Knapp fünf Millionen Mark kostete die Säuberung von Zügen und Bahnhöfen in den ersten neun Monaten dieses Jahres. Nach dem Mauerfall hielt der bunte Westen auch bei den Reichsbahnern in Gestalt von Graffitis Einzug. „Vor der Wende waren das Einzelfälle, heute ist es ein erhebliches Problem“, sagt Bernhard Schulze von der Reichsbahndirektion Berlin. BVG und Reichsbahn klagen über die Justiz, die es schwierig mache, auf frischer Tat ertappte Sprayer zum Schadensersatz heranzuziehen. Göbel beschwört aber auch die reale Gefährdung der Sprayer: Ausflüge in die U-Bahn-Tunnel seien ja schon gefährlich genug, aber „eine besonders gefährliche Unart ist das Besprühen der Stromschiene. Der Farbstrahl kann den Strom leiten, und wer da eine gewischt kriegt, der ist nicht mehr.“

Während BVG und Reichsbahn der Flut von bunten Bildern und Parolen nahezu hilflos gegenüberstehen, schafft ein Charlottenburger Malermeister Abhilfe. Bernd Neumann ist Erfinder des Lösungsmittels „Dekontaminol“, mit dem Farbe leicht und verhältnismäßig billig zu entfernen ist. Für Neumann ist Dekontaminol eine Art soziales Reinigungsmittel: „Wenn ich einen Wagen säubere, kostet das den ertappten Sprayer 1.800 Mark. Ohne Neumann müßte sein Papi etwa 13.000 Mark hinlegen.“ Der Malermeister hat Grund, den Sprayern dankbar zu sein. Immerhin verdankt er ihnen indirekt Ruhm und Geld.

Die Geschichte von Neumann und seinem Dekontaminol liest sich wie ein Märchen: Malermeister Neumann kippt bei einem Reinigungsauftrag probehalber einige Haushaltsreiniger zusammen und erfindet damit im wörtlichen Sinne eine Tinktur, die im Gegensatz zu anderen Mitteln relativ problemlos Farben und Lacke beseitigt. Die Mischung, deren Inhalt und Zusammensetzung außer ihm niemand kennt, ist seit Juni 1990 als Patent Nummer 4025039 angemeldet. Laut mehrerer Gutachten ist Dekontaminol für Menschen harmlos, zu 94 Prozent abbaubar und ungefährlich bei der Einleitung ins Schmutzwasser. Der Erfolg blieb nicht aus: aus der Firma mit sechs Mitarbeitern ist ein Betrieb mit 60 Angestellten geworden, der inzwischen 57 Nahverkehrsunternehmen beliefert – ein Kilo Dekontaminol für 40 Mark. Die Schränke von Neumanns Büro sind voller Dankschreiben von Firmen und Hausbesitzern, und „zwischen Moskau und London hat niemand mehr Ahnung von Graffiti-Beseitigung als ich“, erklärt der selbstbewußte Malermeister. Vor kurzem habe man ihm 15 Millionen Mark für das Patent geboten, „aber das reicht bei weitem nicht.“

„Manche von denen sind ja echte Künstler“, meint Neumann, der sich zwei Firmenautos mit Graffitis hat bemalen lassen. „Es gibt vielleicht 100 Leute in Berlin, die das gut können, aber der Rest ist doch Mist.“ Auf den Zügen kriegt er zu lesen: „Wenn Ihr unsere Bilder nicht fahren laßt, gibt es einen Krieg, den Ihr nicht gewinnen könnt.“ Er weiß, daß seine gutbezahlte Sisyphusarbeit ein Kampf ist, bei dem „irgendeiner mal aufgibt“. Während er Bestellungen aus der ganzen Welt bekommt, bastelt der findige Saubermann schon am nächsten Projekt: einer „AGSB – Anti-Graffiti-Schmutzbeschichtung“ für Oberflächen, die die Reinigung zum Kinderspiel machen soll: „Dann geht's den Schmierern an den Kragen“. Bernhard Pötter