: Selbstentlarvung-betr.: Berichterstattung über Mölln sowie "Bombenfilm macht Ärger", taz vom 28.11.92
Betr.: Berichterstattung über Mölln sowie „Bombenfilm macht Ärger“, taz vom 28.11.92
Seit den Morden von Mölln wartet der ehrlich „betroffene“ Teil der Bevölkerung auf eine dem Entsetzen, dem Abscheu, der Verzweiflung, der ohnmächtigen Wut der tatsächlich Betroffenen entsprechende Reaktion des Regierungsoberhauptes. Kaum jemand unter uns, der wohl nicht die in den Beitrag zur Haushaltsdebatte eingebauten Floskeln eingeübter „Betroffenheit“ als zu wenig empfunden hätte. Es könnte uns kalt lassen, kennen wir es doch von Kohl seit Jahren nicht anders und hatten es auch nicht anders erwartet. Gäbe es da nicht diesen Brief – von dem ich mich frage, warum die taz ihn ihrer Leserschaft vorenthalten hat. [...]
Da ist nun die Rede von einem „unerträglichen Vorgang“, der „mich und meine Familie menschlich stark belastet“ – doch nein, wir haben nicht die fällige Betroffenheitskundgebung über den Tod der Türkinnen vor uns. Es ist lediglich die nackte Panik, die unseren Kanzler gepackt hat, nachdem er dem Fernsehen entnehmen konnte, „daß ich persönlich das Opfer des Attentats werden sollte. Der Film „Die Terroristen“ erweckt durchaus den Eindruck, daß aus der Sicht einzelner Personen ein Attentat auf mich in bestimmten Situationen als ein möglicher Ausweg aus einem Gefühl der Hilflosigkeit erscheinen könnte.“ Es möchte sich satanisches Gelächter aufdrängen beim Lesen solcher Sätze, aber es stockt im Hals.
Sie ist kaum mehr faßbar, die Mischung aus blanker Naivität, Ermangelung jeglicher Souveränität („Der Film zeigt auch technische Einzelheiten und gibt Hinweise auf die Art und Weise, in der ein solches Attentat von Nachahmern in Wirklichkeit geplant und durchgeführt werden könnte.“ – Was für ein Staat, dessen Regierungschef durch einen Spielfilm darauf gebracht werden muß, daß theoretisch auch einmal ein Anschlag auf ihn verübt werden könnte, und der nicht in der Lage ist, über derlei Lächerlichkeit erhaben zu sein!) und Zynismus, der aus solcher Mischung entstehen muß.
„Ich erhoffe mir von Ihnen (der Intendanz des SWF) mehr Verständnis für die Lage, in die ich mit meiner Familie gebracht worden bin“ – was nur noch mit der Frage quittiert werden kann, ob denn Kohls Familie auch mit Brandsätzen bedroht worden sei.
„Tragen Sie dafür Sorge, daß künftig... keine Sendungen ausgestrahlt werden, in welchen die Ausübung von Gewalt gegen die Repräsentanten unseres Staates dargestellt wird.“ Daß es doch nur darum geht, wissen wir längst. Aber muß er die Selbstentlarvung soweit treiben, in dem Augenblick, wenn ihn die Muffe packt, es könne einer auf ihn selber losgehen, sich plötzlich einer Sprache zu bedienen, die weitaus ehrlichere „Betroffenheit“ verrät, als wir alle es sonst und gerade jetzt von ihm gewohnt sind?
Was sich die „klugen Köpfe“ der FAZ dabei gedacht haben, diesen Erguß eindringlich umrandet auf der ersten Seite des Feuilletons abzudrucken, mag ihr Geheimnis bleiben. Mir bleibt nur ein Wandspruch von Mölln hinzuzufügen: „Gott verzeihe ihnen nicht, denn sie wissen, was sie tun.“ Silvia Uhlemann, Karlsruhe
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