: Der Schmelz der sechziger Jahre
Zurück in die Zukunft: Das Ostseebad „Damp 2000“ ■ Von Edith Kresta
Das städtische Kreiskrankenhaus hat nicht weniger Atmosphäre als das Ostseebad Damp. Dreizehnstöckige nüchterne Hochhäuser empfangen die anreisenden Gäste mit dem Charme einer Vorstadtsiedlung der sechziger Jahre. 1969 begann der Bau des Ostseebads, dem größten touristischen Bauvorhaben des Landes Schleswig-Holstein. „Zukunftsweisend und modern“ sollte der Ferienpark sein. Der Name „Damp 2000“ unterstrich dies nachhaltig.
Das Konzept: eine Verbindung aus touristischen, therapeutischen und medizinischen Einrichtungen, die jeweils voneinander profitieren sollten. Neben dem Tourismus en masse sind die Reha -und die Ostseeklinik wichtige Bestandteile des Unternehmens. 1.170 Betten stehen im Haus Klabautermann den Urlaubern zur Verfügung, 1.564 Betten in den umliegenden Ferienhäusern.
In den engen Hochhausappartements des Hotels Klabautermann herrscht schlichter, funktionaler Komfort: Dusche, Kochnische, die zum Bett wandelbare Couch, der Nierentisch und der Fernseher. Heinz Erhardt könnte vom Balkon grinsen in dieser bescheidenen, praktischen Wohnidylle. Im 12. Stockwerk in der „Kapitänskabine“ versöhnt die Weite der Aussicht mit der Enge der Appartements: wunderschöner Meeresblick, den Yachthafen im Visier. Wer ein Zimmer in den unteren, billigeren Etagen erwischt, hat Pech. Er hat aber auch die Möglichkeit, eines der vielen Ferienhäuser der Anlage zu mieten. Das im nachhinein konzipierte Feriendorf entspricht den modernen Anforderungen für Familienurlaub mit Sonnenterrasse und Vorgartenidylle.
Kleinstadtflair und deutsche Beschaulichkeit vermittelt das Ostseebad. Der typische Urlauber ist nach Einschätzung des Pressesprechers Wolfgang Dahl „das nordrhein-westfälische Ehepaar mit vier- bis sechsjährigem Kind“. Der Urlauber hier müsse sich nicht umstellen, weiß Dahl, er fahre mit dem Aufzug direkt zum Strand. Und er bekommt echt deutschen Urlaub unter Deutschen, von den 1.400 Beschäftigten bis zu den Besuchern. Die „multikulturelle Gesellschaft“ hat Damp noch nicht erreicht.
Das Ostseebad ist das ideale Konzept für den aufkommenden Massentourismus der siebziger Jahre, die sozialdemokratische Ära des „Jeder hat die Möglichkeit zu verreisen“. Urlaub für alle, mit
einer Grundausstattung an Komfort, schlicht, funktional und erschwinglich. In der Damper Bummelmeile ist für bescheidenen Konsum gesorgt. Eine kleine Urlaubswelt: Pizzeria und Restaurant, in denen der Besucher das norddeutsche Gericht unbedingt den eingedeutschten kulinarischen Fremdheiten vorziehen sollte; Stände mit Waffeln oder Würstchen und Pommes; Boutiquen für groß und klein, Lebensmittelmarkt, Nippes vom Damp-Teller bis Damp-Bierglas, Drogerie und natürlich Sportartikel. Immerhin gibt es in Damp über zwanzig Sportangebote von Tennis bis Tauchen.
Doch der Zeitgeist ist nicht spurlos an dieser deutschen Urlaubsbastion der sechziger und siebziger Jahre vorübergegangen. Ein „Aqua tropicana“, ein Spaßbad à la Center Parc, soll Damp auf dem wachsenden Markt der Ferienzentren konkurrenzfähig halten. Und auch vom Unternehmensprofil ist man auf der Höhe der Zeit und probt mit dem Konzept eines sanften Tourismus die Quadratur des Kreises. Trotz Massentourismus und im Widerspruch zu seiner unter Landschaftsschutzaspekten als völlig pervers gebrandmarkten Hochhauskultur erklärt das Unternehmen den „Umweltschutz zur Chefsache“.
Gerade die „Konzentration von Tourismus auf kleiner Fläche, bei geringem Landschaftsverbrauch“ prädestiniere Damp für den sanften Tourismus, so die Selbstdarstellung.
Die Bausünden der Vergangenheit werden so gewendet in ein grünes Mäntelchen verpackt. Blockheizkraftwerk, Fernwärmenetz, Abfallkonzept, Elektrofuhrpark, Fäkalentsorgung bei Sportbooten, Wertstoffsammlung und Verkehrsberuhigung durch Parkmöglichkeiten vor der Anlage sind die umweltbewußten Aushängeschilder der Damper Manager. Für den markanten Schandfleck Hochhäuser empfiehlt Pressesprecher Dahl gar eine Rundumbegrünung.
Neben dem sanften, sprich: umweltfreundlichen Tourismus verspricht Damp „sanfte Animation“. Sieben Animateure gehören in der Hochsaison zum Team. Veranstaltungsleiter Dirk Neidhart möchte bei Urlaubern, Patienten und Tagungsgästen brachliegende Neigungen wecken. „Wir möchten unseren Gästen ein ganzheitliches Angebot machen, Bewegungs- ,Kommunikations- und Sinndefizite ausgleichen“. Ein hehrer Anspruch für Sport, Bastelstunden, Kinderfeste, Wanderungen ins Umland und Malunterricht. Die Animation in Damp ist anrührend wie ein Heinz Rühmann Film.
Das Ferienghetto Damp ist im Verhältnis zur neuen Generation der Ferienparks merklich unaggressiv, was die Angebotsflut und sehr schlicht, was die Vereinnahmung der Besucher betrifft. Zudem ist es in der Kombination von Urlaub, Medizin und Therapie in die wirtschaftliche Struktur der Region integriert. Immerhin kommen die meisten Arbeitskräfte aus der strukturschwachen Region selbst. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Dr. Bernd Heydemann stellte anläßlich des Umwelttages 1990 in Damp gar euphorisch fest, daß gerade das Massentourismuszentrum Damp beispielhaften Charakter für die richtige Entwicklung zum sanften Tourismus besitze. Der umstrittene Massentourismus à la Damp kommt so zu späten Weihen. Nach dem perfiden Motto „Rein ins Ghetto für den Erhalt der Natur“. So ist die öffentliche Diskussion um das Ostseebad Damp und die PR-Strategie des Unternehmens ein Musterbeispiel für die gängige Pervertierung des Begriffs sanfter Tourismus: notwendige Innovationen werden im Öko-Trend spektakulär vermarktet, das Etikett„sanft“ wird inflationär schon beim Gebrauch recyclebaren Klopapiers verwendet.
Doch mit oder ohne getrennte Abfallbeseitigung: Damp kann sich über mangelnde Besucher nicht beklagen. „Der letzte Bilderbuchsommer brachte Spitzenergebnisse“, verkündet das Unternehmen. Urlauber aus den Ballungsgebieten von Bremen bis Berlin nutzen die günstigen Damper Pauschalangebote für einen kinderfreundlichen heimeligen Kurzurlaub an der Ostsee. Und im Vergleich von Preis und Leistung mit den östlichen Nachbarbädern kommt Damp allemal gut weg.
Kegeln, Bowling, Wandern, Wasserspaß, Ausflüge in das Umland oder eine Butterfahrt nach Dänemark – beschauliche Freizeitangebote für Familien und Senioren in der Wintersaison. Der Schmelz der ausgehenden sechziger und siebziger Jahre lebt weiter im „gegrünten“ Ostseebad Damp.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen