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Intertextualität auf britisch

Abwechslung und Wiederholung in drei neuen Büchern von David Lodge  ■ Von Rüdiger Zill

„Sie haben meine Bücher gelesen und ich Ihre. Wir wissen mehr übereinander als die meisten Paare, die sich schon ewig kennen.“ Für Leo Rafkin, preisgekrönter Autor aus Amerika mit niedrigen Auflagen, eine gute Voraussetzung, mit Maude Lockett ins Bett zu gehen. Sie ist anderer Meinung. Leo hat Schreibschwierigkeiten, aber zum Glück auch einen Job an der Universität; er unterrichtet creative writing. Maude produziert hingegen Bestseller; aber angesichts der Wechseljahre lernt auch sie Schreibschwierigkeiten kennen. Also gehen sie schließlich doch miteinander ins Bett.

Dahin will auch ihr Kollege Simon St. Clair. Schreibschwierigkeiten plagen ihn allerdings nicht. Sein neues Buch „Anstatt eines Romans“ besteht aus 250 leeren Seiten. Eine Lesung aus dem genialen Werk zeichnet sich denn auch vor allem durch die Beschreibung von Einband, Autorenfoto und biografischen Angaben aus, sowie durch den Klappentext: „,Anstatt eines Romans‘ ist buchstäblich nicht zu beschreiben. Ist es ein raffiniertes Spiel?“

Anstatt eines Romans hat David Lodge diesmal eine Komödie geschrieben: „Literatenspiele“. Zwischen den Akten sollen die drei Autoren weitgehend untalentierten Teilnehmern ihres literarischen Wochenendseminars erklären, wie man Werke von bleibendem Wert schafft. Leo Rafkins Zauberformel heißt: Abwechslung und Wiederholung.

Auch Lodge scheint sich an die Maxime seines Helden zu halten, denn in „Literatenspiele“ variiert er erfolgreich einige seiner zentralen Themen: Sex (please, we are British!), den terroristischen Alltag großer Familien und vor allem Literatur – Literatur, die über sich selbst nachdenkt. So hat man auf 128 Seiten eine Art Instant-Lodge. Seine Vorzüge entfalten sich aber vollends erst in seinen Romanen.

Rafkin könnte zum Beispiel ein jüngerer Bruder von Morris Zapp, der Hauptfigur aus „Ortswechsel“ („Changing Places“, 1975) und „Schnitzeljagd“ („Small world“, 1984) sein. In „Schnitzeljagd“ hatte Lodge dem kulturwissenschaftlichen Kongreßtourismus ein Denkmal gesetzt. Und Lodge ist vom Fach – bis vor kurzem war er selbst noch Professor für Moderne Englische Literatur in Birmingham. Dementsprechend wurde er in bestimmten Kreisen bald zum Geheimtip. Störend nur, daß der deutsche Verlag die Genres verwechselt und das Buch einen satirischen Roman genannt hat. Nichts daran ist satirisch. „Schnitzeljagd“ ist das Ergebnis harter empirischer Kleinstarbeit. Aber Lodges treffsichere Beobachtungen beschränken sich nicht auf die eigene ökonomische Nische.

In „Nice Work“ (1988), vor kurzem als „Saubere Arbeit“ auf deutsch erschienen, trifft man in den Nebenrollen einige Charaktere aus seinen älteren Büchern wieder. Die beiden Hauptakteure aber sind neu: Robyn Penrose, eine frisch promovierte Assistentin der Universität Rummidge (Abt. „Feminismus und Dekonstruktion“; schreibt an ihrem neuen Buch „Häuslicher Engel und glückloses Weib. Die Frau als Zeichen und Ware im viktorianischen Roman“), und Vic Wilcox, leitender Manager einer Maschinenbaufabrik (sein Credo: Rationalisierung und Rendite; wird am Ende selbst gefeuert). Am Anfang des Romans begleitet man Robyn in eine Vorlesung über englische Industrieromane des 19. Jahrhunderts. „In zeitgenössischen Publikationen nannte man sie häufig Condition of England-Romane, weil sie sich unmittelbar mit der Lage der Nation auseinandersetzten“, heißt es da. „Es handelt sich um Romane, in denen die Hauptfiguren aktuelle soziale und ökonomische Probleme erörtern, sich verlieben und zerstreiten, heiraten und Kinder kriegen, ihrem Beruf nachgehen, Vermögen erwerben oder verlieren und auch sonst all das tun, was die Figuren herkömmlicher Romane zu tun pflegen.“ Und so geschieht es auch bei Lodge. „Saubere Arbeit“ ist ein Condition of England-Roman des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Er zeigt uns die Industriestadt Rummidge (vulgo: Birmingham) während der Ära Thatcher: den morgendlichen Berufsverkehr, der sich auf trist-verfallenen Vorstadtstraßen zu Staus verdichtet, und die überdachte Einkaufszone der Innenstadt, die von arbeitslosen Jugendlichen und Cappuccino trinkenden Hausfrauen bevölkert wird; wilde Streiks in Maschinenhallen und das bürokratische Gremienleben der Reformuniversität, die schwer unter staatlichen Mittelkürzungen leidet.

Aus diesem Grund beteiligt sich die Universität Rummidge auch am Projekt „Industrieschatten“, einem PR-Unternehmen, bei dem ein Mitglied jedes Fachbereichs einmal pro Woche einem Manager aus der „freien Wirtschaft“ zusehen soll, um die Kommunikation zwischen Hochschule und Arbeitswelt zu fördern. Niemand hat dazu aber ernsthaft Lust, so wird Robyn Penrose delegiert. Sie wiederum sagt nur zu, weil sie hofft, dadurch ihre Chancen auf eine Festanstellung zu erhöhen. So trifft die Fachfrau für literarische Industrie auf die wirkliche und ist entsetzt, von dieser und von Vic Wilcox, dem Manager, den sie beschatten soll. Vic ist ebenfalls entsetzt; Literatur kennt er bestenfalls aus Readers Digest-Sammelbänden. Das weitere kann man sich denken oder, besser noch: selbst nachlesen. Wie die Protagonisten streiten, sich verlieben bzw. sich gerade nicht verlieben und ihren Berufen nachgehen. Die klischeegemäßen Erwartungen werden spielerisch aufgenommen, um sie zu enttäuschen. All das auf dem Hintergrund der Romane von Charlotte Brontä, Elizabeth Gaskell und Charles Dickens.

Auch dazu dient Robyns einleitende Vorlesung: im Roman selbst über die eigenen Bedingungen zu reflektieren. Um das literarisch erträglich zu machen, bedient sich Lodge eines alten, aber bewährten Tricks. Er führt die Theorie vor, indem er sie ironisiert – dabei durchaus auch mit Blick auf seine eigene Arbeit. So glaubt Robyn zum Beispiel, daß es keinen Autor im klassischen Sinne mehr gebe, keinen „Schöpfer eines Prosawerks ab nihilo. Jeder Text ist vielmehr das Produkt einer Intertextualität, ein Gespinst aus Anspielungen auf andere Texte und Zitaten aus anderen Texten, also mit den berühmten Worten von Derrida: ,il n' y a pas de hors-texte‘ – es gibt nichts außerhalb des Textes.“ Vordergründig charakterisiert Lodge damit die Person. Aber indem er sich über den Jargon lustigmacht, führt er das Gemeinte gleichzeitig ein Stück weit selbst mit seiner eigenen Literatur vor.

Diese Mischung aus Distanz und Nähe spürt man auch in seinen Figuren. Die Geisteswissenschaftlerin, der Industrieboß, das gesamte Personal von „Saubere Arbeit“ sind – obwohl diese Gefahr naheläge – gerade keine Karikaturen, keine hölzernen Rollenporträts, die als Enkel von Charaktermasken auf die Welt gekommen wären. Lodge sind seine Figuren durchaus sympathisch. Er sieht sie aus der Innenperspektive und dennoch mit einer gewissen ironischen Distanz. Der genaue Blick gelingt übrigens auch bei den Nebenfiguren, zum Beispiel bei Vics nörgelndem Vater, der in grauen Flanellhosen und kariertem Sportsakko darauf wartet, von seinem Sohn zum sonntäglichen Lunch abgeholt zu werden.

Mit einem nörgelnden Vater ist auch Bernard Walsh, Hauptfigur aus Lodges jüngstem Roman „Neueste Paradies Nachrichten“, geplagt. Walsh fliegt mit ihm nach Hawaii, um dort die Angelegenheiten seiner krebskranken Tante zu regeln. Der lästige Vater läuft dort – man vermutet sofort einen Racheakt des omnipotenten Erzählers – vor ein Auto und wird mit Beckenbruch ins Krankenhaus abgeschoben. Apropos „omnipotent“: „Paradise News“ hat zwar alle Vorzüge eines Romans von David Lodge, dennoch wird seine Problematik es wohl schwer haben, größeres Interesse zu wecken, es sei denn, man ist spezialisiert auf die Sexualprobleme eines katholischen Ex-Priesters.

Für die vom Werbetext angekündigte „Urlaubsphantasie“ steht nicht nur die unerträglich eintönige Tourismusindustrie Hawaiis, die allem gnadenlos das „Paradies“-Label aufdrückt (Paradies- Taxi, Paradies-Schnorchelabenteuer, Paradies-Finanz-GmbH): Lodge hat hier Feldforschung betrieben. Für „Urlaubsphantasie“ soll auch das Treiben der unterschiedlichen Teilnehmer einer Pauschalreise stehen: „ein zankendes Flitterwochen-Paar, ein Bräunungsbetten-Verkäufer, zwei Sekretärinnen auf der Suche nach dem Traummann, ein professioneller Beschwerer und seine keifige Familie“, schließlich noch ein Anthropologe mit Forschungsschwerpunkt „Touristik“ (ein Abzocker wie aus „Schnitzeljagd“). All das findet sich zwar auch in „Paradise News“, aber es gehört mehr in die Kategorie „bewegtes Beiwerk“. Zum Verlauf des eigentlichen Problems trägt es nichts bei. Und das eigentliche Problem besteht darin, wie Bernard im reifen Alter von 44 Jahren endlich doch noch zu einem ordentlichen Orgasmus kommt. Dazu verhilft ihm dann ausgerechnet die Frau, die seinen Vater per Unfall ins Krankenhaus verfrachtet hat.

Das Thema „Sex im Zeitalter des absterbenden Katholizismus“ spielt auch in einigen früheren Romanen von Lodge eine wichtige Rolle, so etwa schon in „Adamstag“ (1965). Der Autor arbeitet damit die Gewissensnöte seiner eigenen Geschichte ab, und die galten keineswegs allein der Religion. In „How Far Can You Go“ (1980) heißt es etwa: „So standen sie an den Ufern des Glaubens und fühlten, wie die alten Dogmen und Sicherheiten schnell unter ihren Füßen und zwischen ihren Zehen hinwegebbten, die Grundlagen, auf denen sie standen, untergrabend, ein Gefühl, sowohl auf angenehme Weise anregend als auch leicht entmutigend. Denn wir alle glauben gern an etwas, nicht wahr, und wenn es bloß an Geschichten ist.“

So geht bei Lodges Figuren nicht nur der Glaube an die Unfehlbarkeit des römischen Oberhirten verloren, sondern auch der an die Möglichkeit der Existenz von Literaturpäpsten. In „Ortswechsel“ (1975) trägt sich Morris Zapp noch mit dem Gedanken, den allumfassenden und erschöpfenden Jane-Austen-Kommentar zu schreiben. Neun Jahre später trifft man ihn in „Schnitzeljagd“ wieder, nun im klaren Bewußtsein der prinzipiellen Unmöglichkeit dieses Vorhabens, denn „jede Dekodierung ist eine Neukodierung“.

Was bleibt, sind die Probleme mit dem Sex – speziell für Katholiken. Aber vielleicht täusche ich mich ja auch, und das Interesse an religiösen Folgelasten dieser Art ist größer, als man glaubt. Wie sonst sollte es zu erklären sein, daß die Bestsellerliste des Spiegel schon seit Wochen von einem Buch mit dem Titel „Verschlußsache Jesus“ gekrönt wird?

David Lodge: „Saubere Arbeit“, übersetzt von Renate Orth-Guttmann, Haffmans Verlag, Zürich 1992, 374 Seiten, 44 DM

–„Neueste Paradies Nachrichten“, übersetzt von Renate Orth- Guttmann, Haffmans Verlag, Zürich 1992, 334 Seiten, 38 DM

–„Literatenspiele oder: Das kreative Wochenendseminar für kommende Schriftsteller“, eine Komödie, übersetzt von Inge Greiffenhagen und Daniel Karasek, Haffmans Verlag, Zürich 1992, 128 Seiten, 12 DM

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