: In den Sümpfen
■ Ein politischer Roman aus den USA
Eine Limousine, von zuverlässiger Hand durch die Rush-hour der Independence-Avenue gelenkt, sucht ihren Weg heraus aus Washington. Ausgelaugt, müde, verunsichert, in die Polster versunken und in Gedanken vertieft: Senator Bassett, der soeben ein politisches Anhörungsverfahren in seinem Sinne zum Abschluß gebracht hat. Wir schreiben das Jahr 1947. Der Kalte Krieg hat begonnen. Die McCarthy-Ära wirft ihre Schatten voraus.
„The survivor“ nannte der italo- amerikanische Publizist Carl Marzani seinen autobiographischen Roman, der, 1958 erstmals veröffentlicht, nun, nach dem Ende des Kalten Krieges, auch in deutscher Übersetzung unter dem Titel „In den Sümpfen des Potomac“ vorliegt.
Die erwähnte Loyalitätsüberprüfung bildet die Rahmenhandlung. Eingebunden in dieses drei Tage währende Procedere sind Rückblicke und Reflexionen auf ein gutes halbes Jahrhundert Amerika, gesehen mit den Augen eines hoffnungsvollen Immigrantenkindes und mit dem Blick eines saturierten Südstaatlers. Der Autor führt uns ins Amerika der Demokratie, der Korruption, der Streiks, der Gewalt; gewährt Einblick in die Innen- und Außenpolitik der Ölkonzerne, in die Kunst der Diplomatie und des Kompromisses; zeigt uns die politische Karriere eines sozial Begünstigten, der radikal denkt und gemäßigt handelt; läßt uns teilhaben am Aufstieg eines sozial Benachteiligten, der realistisch denkt und sich moralisch integer wähnt, eines, der sich bis ins State Department hochgearbeitet hat: ein Organisator, ein Macher, ein New-Dealer. Anything goes – bis eben zu dieser Anhörung, die den super egghead macht: Was gestern noch opportun war, ist heute suspekt; Kontakte, einst auf höhere Weisung geknüpft, werden nun zum Verhängnis. Zahlreich sind die Widersacher, und nicht jeder zeigt sich deutlich, unüberschaubar sind die gesammelten Erkenntnisse, und jede greift auf ihre Weise. Sichtbare Gefahren lauern und vor allem verborgene.
Da sind nicht nur FBI und CIA. Da sind Familienbande und -zwiste, erlebte Geschichte und erfahrene Erziehung. Und da ist eine Gegenwart, in die sich die eigene Vergangenheit nicht fügt. Doch werden den Helden weder politische Feinde noch politische Freunde mattsetzen. Er steht an der Front, aber nicht an der Spitze. Er ist bloß ein Bauer, der notfalls vom Schachbrett gefegt wird. „If you can't stand the heat, get out of the kitchen.“
Es ist lesenswert, dieses Buch mit dem Laokoon auf dem Cover. Sein Inhalt versetzt uns 45 Jahre zurück ins Nachkriegsamerika, als die amerikanische Politik und mit ihr die amerikanische Gesellschaft ihre „Wende“ erlebten. Anna Ego
Carl Marzani: „In den Sümpfen des Potomac – Ein politischer Roman“. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ria Stein und Alan Posener. Das Arsenal, Berlin 1992. 524 Seiten; Engl. Broschur; 44 DM
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen