Deutsche Kommunen im „Tal der Tränen“

Grünes Städteforum: Sparen, sparen, sparen/ In Ost und West „Haushaltspolitik im freien Fall“/ Keine Tabus mehr in der „Schönwetterpartei“/ Straffung der Verwaltung  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) – Zwischen dem Magistrat der Mainmetropole Frankfurt und den rot-grünen Koalitionären gibt es einen klammheimlichen Konsens: „Augen zu und durch“ – bis zu den Kommunalwahlen im März 1993. Doch danach, so der Fraktionsgeschäftsführer der Grünen im Römer, Lutz Sikorski, hätten die regierenden KommunalpolitikerInnen die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, den Menschen klarzumachen, daß das „Tal der Tränen“ durchschritten werden müsse. Schon heute habe die Stadt der Banken täglich eine Million DM an Schuldzinsen aufzubringen. Und am gerade konzipierten Haushalt 1993 mit seinem Volumen von vier Millarden DM – bei fünf Milliarden DM aufgelaufenen Schulden – müßten in einem Nachtragshaushalt auf der Einnahmenseite „Korrekturen nach unten“ vorgenommen werden. Grund sind die kontinuierlich sinkenden Steuereinnahmen. Sikorski: „Alles desaströs und selbstgemachter Scheiß!“

Die Elegie von Sikorski auf dem Forum „Macht und Geld“ im Rahmen des Grünen Städteforums am Wochenende in Frankfurt/ Main war dagegen Musik in den Ohren des Bremer Senators für Umwelt und Stadtentwicklung, Ralf Fücks: „Mein lieber Lutz, deine Sorgen möcht' ich haben.“ Der grüne Pragmatiker von der Weser legte offen, daß im Haushalt der Hansestadt Bremen rund 16 Prozent des Etatvolumens für die Schuldentiligung draufgingen. Ohne die Zuwendungen aus dem Länderfinanzausgleich für den Stadtstaat Bremen, so Fücks, hätte die Kommune längst den Offenbarungseid leisten müssen. Was Städten wie Frankfurt/Main, München oder Stuttgart in den nächsten Jahren bevorstehe, werde in Bremen bereits praktiziert: Umfassender Personalabbau in der kommunalen Verwaltung, Privatisierung oder Teilprivatisierung von öffentlichen Dienstleistungsbetrieben – und der gnadenlose „Verteilungskampf um das Minus“ im Senat und zwischen den Parteien: „Entweder Privatverkehr oder öffentlicher Personennahverkehr – beides zusammen ist nicht mehr finanzierbar.“

Im Osten ist die Situation durch die schlechte Infrastruktur und das Ausbleiben von Investoren noch fataler. In Leipzig hatte man mit weit über 100 Millionen DM an Gewerbesteuereinnahmen gerechnet; realiter aber hatte die Kommune nur rund 70 Millionen DM einstreichen können, berichtete Bürgermeisteramtsleiter Michael Weber von den Grünen/ Bündnis 90 in Leipzig.

Den rund 100 Grünen aus den Großstadtparlamenten der Republik und aus den von SPD und Grünen gestützen Magistratssesseln – von Hamburg bis München und von Stuttgart bis Dresden – blieb am Samstag im Ökohaus der leckere Kirschstreuselkuchen im Halse stecken. Die „Schönwetterpartei“ (Sikorski), die mit dem Versprechen auf die Realisierung einer klassischen Klientelbefriedigungspolitik flächendeckend in die Rathäuser eingezogen war, steht offensichtlich vor einer Zerreißprobe.„Kommunale Haushaltspolitik im freien Fall in ganz Deutschland“ nannte das Bernhard Kübler aus Stuttgart. Auf der Strecke blieben dabei zuerst die ökologischen Projekte. Die Krise bei Daimler Benz werde in den nächsten Jahren weitere dramatische Einnahmeverluste für die Stadt zeitigen. Schließlich werden die Gewerbesteuern von den Gewinnen der Unternehmen abgeschöpft.

Für Ralf Fücks war es immerhin „eine Befreiung“, in Frankfurt parteiintern über die gewaltigen Finanzprobleme der Kommunen und über Strategien zur Rettung grüner Inhalte bei chronisch leeren Kassen diskutieren zu können. Die in den Zeiten des Wirtschaftswunders sozialisierten Grünen, die – als ausgewiesene Wachstumsgegner – dennoch immer auf die „Problemlösung durch Ressourcenwachstum“ gesetzt hätten, müßen lernen, radikal umzudenken: Sparen, sparen und nochmals sparen, lautete das Credo der grünen Magistralen nach dreistündiger Debatte. Und das impliziere „massive Brüche bei den Erwartungshaltungen“ und führe zwangsläufig zu „harten Konflikten im grünen Milieu“. Aus dem westdeutschen Armenhaus Bremen kamen denn auch die konkretesten Vorschläge zur Bewältigung der erwarteten „langen Krisenwelle“. Teile der Verwaltung seien als selbstständige wirtschaftliche Einheiten mit eigener Rechnungsführung zu konzipieren, schlug Fücks vor. Die gesamte aufgeblähte innere Kommunalverwaltung müsse unter Effektivitätsgesichtspunkten neu organisiert und gestrafft werden. Und schließlich hätten die Kommunen die Pflicht, neue Einnahmequellen zu erschließen – „bis hin zur Suche nach privaten Trägern für öffentliche Einrichtungen“. Für Lutz Sikorski gibt es im Rahmen der Sparpolitik ohnehin „keine Tabus mehr“. Auch über eine Privatisierung etwa der Stadtwerke und einen „sozial abgefederten Personalabbau“ müsse „laut nachgedacht“ werden.

Zwei Glaubensgrundsätze wollen die Grünen bei aller Bereitschaft zur Bescheidenheit allerdings nicht auf dem Sparaltar opfern: Mit der Partei sei keine Politik der Ausgrenzung von Minderheiten machbar. Und der ökologische Umbau der Industriegesellschaft müsse weitergehen – wenn auch (vielleicht) schaumgebremst.