: Polizist auf der Anklagebank
■ Dieter B. soll zwei Junkiefrauen auf der Bahnhofswache zusammengeschlagen haben
Auf der Anklagebank präsentiert sich Dieter B. (48) mit blütenweißem Hemd. Lässig blickt er über seine randlos halbe Intellektuellenbrille in den Gerichtssaal, streicht sich überheblich immer wieder übers Revers: Der Polizeibeamte scheint sicher, daß der Vorwurf „Körperverletzung im Amt“ nicht zu beweisen sein wird. Nach seinen Worten hat es zwar eine Rangelei gegeben, hat er „Halt die Schnauze“ geraunzt und seine Widersacherin, die ihn beschimpft und an der Jacke gezogen habe, weggestoßen. Mehr aber auch nicht.
Zwei Frauen sitzen ihm gegenüber: als Geschädigte und Nebenklägerinnen. 23 und 24 Jahre alt, jahrelang drogenabhängig, zum Tatzeitpunkt beide wegen Ladendiebstahls bei der Bahnhofspolizei festgenommen. Dort sollte Dieter B., zusammen mit seiner Kollegin Gerda D., die beiden abholen, um sie in den Polizeigewahrsam der Ostertorwache zu bringen. Knapp zwei Stunden hatten die Frauen, unter aggressivmachendem Einfluß von Heroin und Barbituraten, da schon auf der Bahnhofswache verbracht, sich gegen die Verhaftung gewehrt und vergebens nach ihren Anwälten verlangt.
Nach übereinstimmender Schilderung von Anja und Sabine (Namen auf Wunsch geändert) stürmte der Polizeibeamte B. in die Wache und direkt auf Anja zu, versetzte ihr einen Schlag gegen das rechte Auge, der sie benommen machte, schlug und trat weiter so massiv auf sie ein, bis Anja am Boden lag. Sabine hatte, so die Aussagen der Frauen, versucht dazwischenzugehen. Denn auf ihre Rufe „Hilf doch mal“ habe in der Wache niemand reagiert. Dadurch wurde Sabine Ziel der Schläge: Sie habe sich in eine Ecke gekauert und Gesicht und Körper mit Armen und Beinen geschützt.
Die Verletzungen: Bei Anja Prellungen und Blutergüsse an Auge und Hals, ein verstauchtes Handgelenk, Schürfwunden am ganzen Körper. Bei Sabine sind es eine Platzwunde an der Lippe, Prellungen und Blutergüsse an Armen und Oberschenkeln. Bei der Erkennungsdienstlichen Behandlung auf der Wache 6 sind andere Polizeibeamte so schockiert, daß sie die Verletzungen fotografieren lassen.
„Das hätte nicht sein müssen“, hatte ein Zeuge Dieter B.s Kollegin Gerda D. noch in der Bahnhofswache sagen hören. Sabine und Anja erinnern sich übereinstimmend an die Aufforderung: „Hör doch auf Dieter, jetzt reicht's.“ Für den Vorfall gibt es zahlreiche Zeugen: Mindestens sechs Bahnhofspolizisten, weil in ihrer zehn Quadratmeter großen Wachstube gerade Wachwechsel war. Passanten, die die beiden Frauen beim Abschleppen ins Polizeiauto um Hilfe riefen. An drei weiteren Verhandlungstagen sollen sie in diesem Indizienprozeß gehört werden.
B.s Kollegin Gerda D. hat den 3.4.1991 offenbar aus ihrem Gedächtnis gestrichen. Sie konnte selbst auf eindringliche Fragen gestern nur erzählen, „wie normalerweise“ mit Festgenommenen verfahren wird. Tätliche Auseinandersetzungen habe sie in der Wache nicht gesehen, will sie aber auch nicht ausschließen: „Es ging so schnell.“ Außerdem wollte sie sich „da nicht einmischen.“ Richter und Rechtsanwälte warnen vor Meineid. Doch Gerda D. schwört, so wahr ihr Gott helfe. Birgitt Rambalski
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