: Allein im Tunnel mit den Hools?
■ Immer mehr Menschen haben Angst vor Gewalt in U- und S-Bahn / Was BVG und Reichsbahn zum Schutz der Passagiere tun / 88 Fälle von Bedrohung im Monat
Berlin. U-Bahnhof Leinestraße, abends gegen 23 Uhr. Eine junge Frau steigt aus dem U-Bahn-Waggon aus. Gleichzeitig verläßt ein offensichtlich angetrunkener Mann das Abteil, tritt gegen das Fahrrad, das die Passagierin neben sich her schiebt, und beschimpft sie als Hure. Die Frau stellt ihn zur Rede und ruft um Hilfe, als der Mann sie auch noch anspuckt. Die übrigen Fahrgäste werden auf die Szene aufmerksam, greifen aber nicht ein. Ebensowenig die Zugabfertigerin und die Wachstreife mit ihrem Wachhund, die ebenfalls an der Endstation ausgestiegen ist. Draußen kommt es zwischen dem Mann und der Frau zu einem Handgemenge. Die Frau wird durch einen Messerstich verletzt und muß mit Blaulicht ins Krankenhaus gefahren werden.
Bedrohliche Realität in den U- und S-Bahnen: Männer belästigen Frauen, Deutsche greifen AusländerInnen an, Betrunkene pöbeln arglose Passagiere an. Was tut die BVG, um die Sicherheit ihrer Fahrgäste zu gewährleisten?
Nach Angaben von Pressesprecher Wolfgang Göbel hat die BVG im letzten Jahr ihr Wachschutzpersonal erheblich aufgestockt. 252 MitarbeiterInnen mit 90 Hunden sind im gesamten U-Bahn-Netz und in den Westberliner S-Bahnen unterwegs. Weiteren Schutz biete der „mobile Ordnungsdienst“, der sich aus insgesamt 127 BVG-MitarbeiterInnen und 63 PolizeibeamtInnen zusammensetzt.
Selbst wenn die Wachschutzstreifen nicht wie in dem oben geschilderten Fall untätig danebenstehen, sondern pflichtgemäß eingreifen, können sie nicht allgegenwärtig sein. Wenn beispielsweise während der Fahrt eine Gruppe Rechtsradikaler einen Ausländer bedroht und sich im selben Abteil nicht zufällig Wachschutz, Ordnungsdienst oder KontrolleurInnen befinden, kann der Betroffene nicht mit Hilfe rechnen. Schafft er es, die Notbremse zu ziehen, fährt der Zug noch in den nächsten Bahnhof, wo der Zugabfertiger über die BVG-Zentrale die Polizei oder die Feuerwehr verständigt. Bis zu deren Eintreffen vergehen aber mindestens weitere zehn Minuten, so daß die Täter schon eine gute Chance haben, zu entkommen.
Wie gefährlich das U-Bahn- Fahren für AusländerInnen und Frauen tatsächlich ist, läßt sich anhand der BVG-Statistik nicht ermitteln. Bei den 21.071 Vorkommnissen, die im Monat Oktober gemeldet wurden, sind zwar 88 Fälle von „Bedrohungen unter Fahrgästen, die zu körperlichen Auseinandersetzungen geführt hätten“, und 22 Fälle von „Verhinderung schwerer Körperverletzung“ aufgeführt. Für spezifische Delikte wie sexuelle Belästigung oder rassistisch motivierte Angriffe gibt es aber keine Rubrik. Ebensowenig sind Geschlecht und Nationalität der Betroffenen erfaßt.
Schon das Fahren mit der U- Bahn erscheint vielen als bedrohlich. Noch mehr Angst haben aber gerade Frauen und AusländerInnen, abends die S-Bahnen in Ostberlin zu benutzen, auch weil die Strecken zwischen den Haltepunkten so lang sind. Auch dort sind mittlerweile Wachschutzstreifen unterwegs, allerdings weniger als im U-Bahn-Netz und in der Westberliner S-Bahn.
16 mobile Einsatzgruppen mit je zwei Wachmännern und einem Hund, so verspricht eine Presseerklärung der Reichsbahn, sollen die Sicherheit auf 217 Kilometer Streckengleis garantieren. Zieht in der S-Bahn ein Fahrgast die Notbremse, hält der Zug auf offener Strecke. Bis dort dann Hilfe herbeigeholt sei, dauere es wesentlich länger als in den Bahnhöfen, erklärt Reichsbahn-Pressesprecher Bernd Schulte. Anne-Kathrin Koppetsch
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