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Tonal banales Zitatenmeer

■ Eine Bilanz der „Woche des Hörspiels“, die Ende November in Berlin stattfand

Eine ganze Woche lang tobte in den oft so stillen Hallen der Berliner Akademie der Künste ein kleiner Kulturkampf. Aus unterschiedlichen Lagern stritten sich vom 22. bis 29. November Macher, Fans und die es werden wollen um eine Kunstform, die vielfach schon unter Artenschutz steht: ums Hörspiel. Obwohl allabendlich zwei handverlesene Exponate dieser Kunst über geneigte Köpfe schallten, dienten sie oft nur als Aufhänger für hitzige kunstpolitische Debatten. Schade! Denn an manchem gelobtem Band wäre eine spezifische ästhetische Mißwirtschaft, wie sie Zeitdruck, Willkür, Eitelkeit oder Stildiktat hervorbringen, prägnant zu zeigen gewesen.

So aber kämpfte jede Interessensgruppe mal mit polemisch- künstlerischen Salven, mal mit akademischen Lustkillern um ihre kleine Wahrheit, um Dosierung, Setzung und Gewichtung der medieneigenen Mittel – Wort, Geräusche und Musik. Einige plädierten für das Medium als Message, für die Versetzung des Worts vom Standbein aufs Spielbein. Die Idealisten aber verteidigten das Terrain der Sprache: In unserer Zeit der Sprechblasen soll die „blinde“ Hörkunst mit klarer Sprachfertigkeit dem trägen Publikumsbewußtsein noch einmal bildschöpferische Aktivität abringen.

So verschieden wie die Theorien waren auch die mitgebrachten Produktionen: Es bot sich eine bunte Hörkunst-Galerie, ganz Filiale des großen Kulturbetriebs. Beispiel für einen Spielball im Theorien-Pingpong ist etwa die Gewinnerin des Wettstreits: Simone Schneider und ihr schon mit Vorschußlorbeeren verzierter „Roter Stern“ (der später mit dem Preis der Publikumsjury ausgezeichnet wurde). Laut Pressetext der Jury packt diese Arbeit die Historie, „wo es ihr wehtut: am Umbruchspunkt von zerfallender und sich neu formierender Geschichte“. So schön das klingen mag – de facto gelingt Frau Schneider vor allem ein modisches Potpourri von Bild- und Klischee-Clustern. Als im Frühjahr 1990 die Autorin – wie wir alle – das Wackeln der Sowjetunion bemerkte, entdeckte sie ihr Thema: Mit studentischem Fleiß schaufelte sie im Dickicht von Informationen, Emotionen, Bilddokumenten ihren (wohlgemerkt rein ästhetischen) Zugang. Um die gewonnene Bewußtseinsfracht zu transportieren, bemüht sie die bewährte Schiffsmetapher. Doch statt zerfetzte Wirklichkeit fühlbar zu bannen, tuckert ihr Hochseedampfer „Roter Stern“ mit viel Tuten und Blasen im seichten Zitatengewässer.

Als geistesgeschichtliche „Erdung“ ihrer Produktion spannt die Autorin den russischen Futurismus vor ihren Karren. Das war die Zeit der wahren Bilderstürmer, Syntaxkiller und Verächter schwülstiger Ornamente. „Roter Stern“ dagegen erglüht in einem Metaphernfieber, verliert sich in poetischen Platitüden. Da hilft's auch nicht, wenn „echtes Leben“ in Form von Fotos Modell stand! Ist der ganze Spuk vorbei, die letzte Welle ausgeplätschert, bleibt nur ein fader Nachgeschmack zurück.

Ähnlich zwiespältig ein weiteres offizielles Highlight: Das schon preisgekrönte „Schliemanns Radio“ von Heiner Goebbels (Prix Italia). Der verdiente Komponist und „Tonmann“ Heiner Müllers erstellte eine Kaskade aus Worten und Musik, in der der archäologisch umstrittene Entdecker Trojas schreibt, schwitzt und stöhnt. Goebbels bohrt am Mischpult mit. Eine an vielen Stellen sinnliche Simultan-Komposition, in der zum Chor von Frosch- und markerschütternden Kassandrarufen die Feder kratzt, die Säulen stürzen. Doch leider will Goebbels nicht immer wie ein besessener Schliemann mit dem Kopf durch die antiken Wände. Auch diese Vermischung von tonal Banalem mit anspruchsvollem Hintergrund rutscht ab in die Beliebigkeit. Die oft beschworenen Phrasen von den „Auswahlmöglichkeiten“ und der „Mitarbeit des Hörers“ werden dort hohl, wo eine allzu offene Struktur einfach nicht mehr lockt. Auch hier redeten später die begeisterten Anhänger am konkreten Stück vorbei. Es ging um Wunschbilder und Theorien, die allesamt zu unterstützen wären, doch vom „Schliemann“ nicht ganz eingelöst werden.

Neben dieser Experimente- Ecke verschafften sich auch weniger laute Beiträge Gehör. So etwa Heinz von Cramers „Thoreau“. Erfreulich, daß der Autor in Momenten von Sprachlosigkeit auch mal bescheiden beiseite treten kann. Er suchte während des Golfkriegs nach adäquaten Texten als Ausdruck eigenen Protests. Gefunden hat er sie im letzten Jahrhundert. Seine dynamische Textcollage aus Henry David Thoreaus Kritik an einer selbstgefälligen, hohlen Demokratie montierte er mit Jazzfragmenten zu „Splittern und Spänen“, die zum Mitdenken anregen: ein gelungener Einsatz von Worten und Musik.

Auch Lothar Trolles provokativer Beitrag „Wstawate Lizzy“ erhitzte die Gemüter. Durch Gisela Mays umwerfend starke Stimme wird hier ein direkter Einblick ins Bewußtsein der Auschwitz-Überlebenden Lizzy möglich. Ausgeliefert und eben gar nicht voyeuristisch, sind wir Zeugen eines Augenblicks, in dem nach einem langen Leben die Kruste der Verdrängung zerbirst und Lizzy im chaotischen Bewußtsein um eine Sprache kämpft, das Erinnerte zu stammeln. Fragmente überfluten uns, ohne dabei abzustumpfen. Selbsterzeugte Bilder überlagern sich in zwingender Konsequenz. Ohne billige Effekte lenkt eine Ausdrucksenergie an traumatische Abgründe, die viele wohl lieber rational umgehen würden.

Noch andere Taburäume wurden erschlossen und lösten kontroverse Sprachgefechte aus. Zum Beispiel die „Schlußfeier“ von Roland Lang. In diesem tiefgründig leichten danse macabre trifft eine alte Dame (Marianne Hoppe) auf ihren galanten Tod: Ihr letzter Tag verrauscht in einer Fellini würdigen Realgroteske. Wie ein zynischer Comic strip ließ Peter Turrinis „Tod und Teufel“ tief in die Jetzt-Gesellschaft blicken. Geld, Macht und Neonazis schließen mit den Medien einen Pakt. Das sogenannte Gute wie das Böse sind nur Joker und werden je nach Marktlage gezückt und ausgespielt.

Marktlage gibt das Stichwort für einen weiteren Themenschwerpunkt, der ein wenig im Schatten der „Formerneuerer“ stand: Die Stimmung in Ostdeutschland wurde mal neorealistisch („Eine Hunds-Lektion“ von Achim Scholz) gespiegelt, mal im poetischen Realismus mit den „Birnen von Ribbeck“ (Friedrich Christian Delius) heraufbeschworen. Zwei weitere Produktionen steckten mit grimmigem Humor je fünf systemtreue DDR-Bürger in einen Raum. Mal sind es Fernsehsprecher, mal SED-Betonköpfe. Hinter verschlossenen Türen werden sie buchstäblich Opfer ihrer hochgehaltenen Tugend („Kyffhäuser“ von Jens Sparschuh, „Herrn Menschels Kollegen“ von Bert Koß). Aber auch Viola Altrichters sensible und sinnliche Recherche einer Kindheit soll erwähnt werden. „Das Loch“ fängt farbig, duftend und knisternd Erinnerungsfetzen ein, die verschüttete Innenwelten erschließen können.

Will man den Reaktionen auf diese „Woche des Hörspiels“ eine Botschaft abringen, so stehen der zweckfreien, aber sehr beredten poetischen Hörkunst eher schwierige Zeiten ins Haus! Gaby Hartel

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