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Europas Vereinigung spaltet die Schweiz

■ Herbe Schlappe für Bern/ Separatistische Töne jenseits des „Röschtigrabens“

Basel (taz) – „Die Schweiz – isoliert und gespalten!“ Auf diesen knappen Nenner brachte die Lausanner Tageszeitung Nouveaux Quoditien gestern in ihrer Titelschlagzeile das Resultat der Volksabstimmung gegen den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Mit einer Mehrheit von 50,3 Prozent hatte das Wahlvolk am Wochenende bei einer Rekordbeteiligung von 78,3 Prozent den Beitritt der Schweiz zum EWR abgelehnt. Eindeutiger als diese knappe Zufallsmehrheit fiel das sogenannte „Ständemehr“, das Stimmenverhältnis der Kantone, aus. Nur in sieben Kantonen votierte eine Mehrheit pro EWR; in 16 Kantonen waren die EWR-Gegner in der Überzahl.

Damit hat das eidgenössische Wahlvolk der von Regierung und Parlament geplanten Einbindung der Schweiz in die europäische Integration eine Urnenbestattung erster Klasse beschert. Mit dem EWR-Vertrag wollten die zwölf Staaten der Europäischen Gemeinschaft (EG) und die sechs Länder der Europäischen Freihandelsszone (Efta) einen gemeinsamen Binnenmarkt ab 1993 schaffen. Die Schweiz ist Mitglied der Efta, die in den fünfziger Jahren als Konkurrenz zur EG gegründet wurde. Mittlerweile ist jedoch die Hälfte der ursprünglichen Efta- Länder in der EG gelandet. Die verbliebenen Efta-Mitglieder haben bereits Beitrittsanträge an die EG gerichtet. Der für 1993 angepeilte Wirtschaftsraum zwischen EG und Efta wird von ihnen mittlerweile nur noch als Zwischenetappe auf dem Weg in die EG betrachtet.

Als wichtigste Ursache der breiten EWR-Ablehnung machten Pressekommentatoren die Angst der SchweizerInnen vor steigender Arbeitslosigkeit und „Überfremdung“ durch den Zuzug ausländischer Arbeitskräfte im Falle eines EWR-Beitrittes aus. Der Lohn der Angst: Mit ihrem Nein zum EWR haben sich die Eidgenossen vorerst von den europapolitischen institutionellen Zusammenhängen abgekoppelt.

Schon am Sonntag abend hatte der für die Verhandlungen zwischen EG und Efta zuständige EG- Kommissar Frans Andriessen in Brüssel klargestellt, daß aus EG- Sicht keine Extrawurst für die Schweiz in Frage komme. Die Schweiz habe „die Isolation gewählt“. „Ein dem EWR vergleichbares Abkommen auf bilateralem Weg“, so der Holländer Andriessen, „wird es nicht geben.“ EG- Kommissionspräsident Jacques Delors führte das EWR-Nein auf „ein griesgrämiges wirtschaftliches Klima“ in der Schweiz zurück. EG und Efta müssen nach Ansicht Delors nun diskutieren, wie der EWR ohne die Schweiz zu verwirklichen sei.

In der Schweiz selbst wurde am Montag vor allem über die wirtschaftlichen Konsequenzen der EWR-Ablehnung spekuliert. Das Gros der Wirtschafts- und Industrieverbände hatte sich im Wahlkampf vehement für den EWR eingesetzt. Großkonzerne wie der Anlagenbauer ABB oder der Chemiemulti Hofmann-La Roche hatten Investitionen in Millionenhöhe bis zum Wahltag zurückgestellt und offen damit gedroht, diese Investitionen im Falle eines Neins zum EWR ins Ausland zu verlagern.

In Bern stehen Regierung und Parlament vor einem innenpolitischen Scherbenhaufen. Schließlich belegte der Urnengang, wie weit die Konzepte des politischen und wirtschaftlichen Establishments von der Vorstellungen und Ängsten der Bevölkerungsmehrheit entfernt sind. Völlig unklar ist, ob und wie die Regierung jetzt das kürzlich abgegebene EG-Beitrittsgesuch weiter verfolgen will.

Vor allem aber hat das Votum jenen Riß durch das Land vertieft, den der Volksmund gemeinhin als „Röschtigraben“ markiert: Die Kluft zwischen dem deutschschweizerischen und dem französischsprachigen Landesteil scheint nun unüberbrückbar. Denn während die französischen Kantone geschlossen mit über 60, zum Teil sogar um die 80 Prozent für den EWR stimmten, votierten die deutschsprachigen Kantone fast ebenso blockmäßig dagegen. (Eine Ausnahme bildeten nur die beiden Grenzkantone Basel-Stadt und Basel-Land.)

Das „Diktat aus Brüssel“, das die EWR-Gegner im Wahlkampf als Schreckgespenst an die Wand gemalt hatten, scheint den Romands offenbar weniger furchterregend als die Gängelung durch das deutschsprachige Bern. Schon werden am Ufer des Genfer Sees separatistische Töne laut: Ein Genfer Politiker entdeckte noch in der Wahlnacht einen längst in Vergessenheit versunkenen Artikel der helvetischen Bundesverfassung, wonach die Kantone selbständig Verträge mit dem Ausland schließen können. Betreibt die Romandie demnächst also ihre eigene Außenpolitik gegenüber Europa, fragen bereits besorgte Kommentatoren in Bern. Auf einer Brücke über das Flüßchen Thielle, das die Kantone Neuenburg und Bern trennt, pinselten Jugendliche anläßlich einer Protestdemonstration in der Nacht auf Montag schon mal einen symbolischen Grenzstrich auf die Fahrbahn. Ein Genfer Journalist kommentierte das EWR-Nein gelassener mit der bäuerlichen Weisheit: „Die Deutschschweizer sind wie die Kartoffeln: Ihnen gehen die Augen erst auf, wenn sie im Dreck stecken.“

Befriedigt zeigten sich dagegen jene rechtskonservativen bis extrem rechten Komitees und Parteien, etwa die Autopartei oder die Schweizerischen Demokraten, die im EWR stets einen puren „Vaterlandsverrat“ sahen. Zur Ablehnungsfront gehörten auch die meisten grünen Grüppchen. Die grüne Nationalratsabgeordnete Rosmarie Bär bekannte erleichtert: „Ja, ich freue mich über das Nein“, beeilte sich aber, sogleich hinzuzufügen: „Es war kein generelles Nein zu Europa, kein Nein zur Zusammenarbeit und Solidarität mit dem Rest der Welt.“ Das alternative Europakonzept der Grünen und Ökos hielt sie freilich ebenso geheim wie die konservative Nein- Phalanx. Thomas Scheuer

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