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Kein einziges Wort des Bedauerns

■ Ein Jahr Haft und Jugendarrest für zwei rechtsradikale junge Männer wegen gefährlicher Körperverletzung

Moabit. Betont lässig, die Beine weit auseinandergespreizt, inspizierte der kurzgeschorene 20jährige Angeklagte Sven K. gestern während des Prozesses seine schwarze Bomberjacke und schnipste mit dem rechten Finger demonstrativ unsichtbare Staubfusseln von den Ärmeln. Sein neben ihm sitzender gleichaltriger mitangeklagter Freund mit sauber gescheiteltem kurzem Haar gab sich nicht minder desinteressiert. Sämtliche Versuche des Jugendrichters Müller-Reinwarth, den beiden ein Wort des Bedauerns zu entlocken, gingen ins Leere. „Lassen wir mal das ganze Politische raus und nehmen an, es war nur eine ganze normale Schlägerei“, versuchte es Müller-Reinwarth zum letzten Mal in Güte. „Es ist doch absolut unfair, wenn zwei ausgewachsene kräftige junge Männer auf eine zierliche junge Frau und deren Freund einschlagen. Seht ihr das nicht so?“ Die Mundwinkel der Angeklagten zuckten unter verhaltenem Grinsen. Resigniert – „ich habe selten Angeklagte gesehen, die so wenig Interesse zeigen“ – gab der Richter auf.

Der arbeitslose Sven K. und der Lagerarbeiter Carsten H., beide aus Reinickendorf, standen wegen gefährlicher Körperverletzung und Verwendens von verfassungsfeindlichen Symbolen vor Gericht. Am 10. Mai dieses Jahres sollen sie gegen 1.30 Uhr morgens auf dem Kurt-Fischer-Platz in Pankow auf die 23jährige Architekturstudentin Sabine O. und deren 26jährigen englischen Freund Graham W. eingeschlagen, getreten und „Sieg Heil“ gerufen haben. Graham W. zog sich durch die Tritte mit den schweren Springerstiefeln eine Rippenprellung und einen Riß am Kinn zu. „Vielleicht ist er gegen einen Baum gerannt“, suchte der Angeklagte Carsten H. gestern die Verletzung zu erklären. Sein Freund Sven K. räumte ein, Graham W. „ins Hinterteil getreten“ zu haben, und begründete dies damit, von diesem zuvor als „Nazi oder Skinhead“ angepöbelt worden zu sein.

Sven K. war bereits im Oktober 1991 wegen Volksverhetzung – „10.000 Juden, Tür zu, Gas auf“ – zu einer sechsmonatigen Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Damals waren bei ihm Aufkleber der seit kurzem verbotenen „Nationalistischen Front“ gefunden worden. Gestern wurde er unter Einbeziehung der Vorstrafe zu einem Jahr Haft auf Bewährung und Carsten H. zu einem vierwöchigen Arrest und 1.000 Mark Schmerzensgeld an die Geschädigten verurteilt. Die Aussagen der Zeugen Graham W. und Sabine O. seien absolut glaubwürdig, befand Richter Müller-Reinwarth. Demnach war das Paar in jener Nacht Hand in Hand über den Kurt-Fischer-Platz spaziert und hatte sich auf englisch unterhalten, als die Attacke kam. Auch wenn Richter Müller-Reinwarth in dem Prozeß den Eindruck gewonnen hatte, daß Sven K „unbelehrbar ist“, versuchte er diesem zu guter Letzt doch noch eine „winzige Brücke“ zu bauen: Wenn Sven K. innerhalb der nächsten vier Monate mit seinem Bewährungshelfer zusammenarbeite, freiwillig Schadensersatz zahle und durch eine ehrenamtliche Mitarbeit, „z.B. bei den deutschen Lebensrettern“, den Willen „zum Wandel“ unter Beweis stelle, könne eine Strafaussetzung zur Bewährung nach dem Jugendstrafrecht vielleicht doch noch erwogen werden. plu

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