Sanssouci: Vorschlag I
■ Rave Against Aids und Mayday III
Die Logos zahlreicher Sponsoren umrahmen den Handzettel, der für die Partynacht zugunsten der Berliner Aidshilfe e.V. wirbt, doch ein Name fehlt. Der „Rave Against Aids“ findet ohne die Unterstützung des Senats statt. Obwohl Parteien und Verbände in letzter Zeit den kulturellen Off schirmherrschaftlich souverän erschlossen haben, kriegt die Public-Relations-Abteilung der öffentlichen Interessengruppen kein Bein auf den Tanzboden. Vielleicht liegt es daran, daß auf Parties das Medium die Message geblieben ist. Deshalb sind es nicht unbedingt die DJs und Showcases, die gegen Aids Platten auflegen oder ihren Atari-Computer einschalten, sondern es ist das Zusammenspiel aller Akteure vor und auf der Bühne, von der die Veranstaltung lebt. Ein guter DJ moduliert letztlich nur die allgemeine Schwingung. Die Engländer haben dafür den passenden Begriff geprägt: Clubvibes. Bei Westbam sind die Beats kantig, bei Kid Paul schwingt mehr Melodie mit; Jonzon versteht sich auf vertrackte Brüche und plötzliche Übergänge, Motte benutzt manchmal ausufernd psychedelische Endlosschleifen, und Paul van Dyk liebt die entspannten Klangschwaden der Trancemusik.
Die Mayday-Veranstalter haben für ihre Großraumdisco sogar eine Ideologie parat: „Forward ever, backward never“ heißt ein Sampler, den Polydor zur Einstimmung auf das Massenereignis herausgebracht hat. Hardcore-Techno bleibt die Devise, mit der man dem modischen Szene-Weichmacher „Trance“ ein entschiedenes Nein entgegenbrettert. Das Programm besorgen hauptsächlich Partyhooligans aus Rotterdam, und der Sound stimmt entsprechend nachdenklich: Kettensägen, Nahkampfgegröhle und Beats, die wie beim Schlagstockeinsatz niederprasseln. Auch der Industrierummel zeigt Folgen. Weil die Halle in Weißensee binnen eines Monats bis auf den letzten Platz ausverkauft war, wurde die Lokalität kurzfristig auf das ehemalige Militärgelände der NVA in Johannisthal verlegt, das schon zur Love- Parade-Party herhalten mußte. Die holländischen Stimmungskanonen jedenfalls passen zur Umgebung. Auf der Baustelle würde man über den Krach schimpfen.
Disco hat nun also selbst für die Plattenindustrie endgültig Pop ersetzt, ohne aber dessen Diskursfreudigkeit und -formen zu übernehmen. Während Musikzeitschriften und Feuilletons noch immer versuchen, HipHop als neue Gegenöffentlichkeit in die interpretatorische Mangel zu nehmen, gleiten derlei Aneignungsversuche bei House oder Techno weiterhin ab. Wer sich im mitternächtlichen Marathon durch die Clubs arbeitet, hat damit keine Probleme. Harald Fricke
Rave Against Aids, 11.12. im „Heaven“, Hasenheide 13, 21 Uhr; Maday III, Die Halle, An der Industriebahn 12-16, 22 Uhr.
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