: Ein bösartiger Vergleich-betr.: "Vaterlandslose Gesellen" (Thomas Heises "Stau - Jetzt geht's los") von Mariam Niroumand, taz vom 3.12.92
Betr.: „Vaterlandslose Gesellen“ (Thomas Heises „Stau – Jetzt geht's los“) von Mariam Niroumand, taz vom 3.12.92
[...] Sie fragen, ob die Rechtsradikalen die „Perversen“ von heute sind. Diese Frage verkennt elementar die rassistische Grundströmung unserer Gesellschaft, auf der die Nazis reiten. Während Homosexuelle mit den geballten Vorurteilen und der traditionsreichen Diskriminierung leben müssen, beklatschen Bürger die Brandstiftungen, besteht ein unheimlicher Konsens zwischen Mördern und Umland.
Herr Heise sagt, er könne die „Utopie“ von der „DDR als Großdeutschland mit einer großen Mauer drumherum“ verstehen – „ob ich das gut finde, oder ob es Tote dabei gibt, ist eine andere Geschichte“. Offenbar eine, die im Film keinen Platz hat, Herr Heise sagt ja selbst, daß man „die Wut“ auf Rechtsradikale während des Films nicht mobilisieren kann, man werde mit deren Menschsein „alleingelassen“. Wer aber heutzutage einen Dokumentarfilm aus der Sicht einer „Solidarität zwischen Ostlern“ dreht und die Opfer verschweigt („eine andere Geschichte“), zieht ebenso die in unserer Gesellschaft sowieso so gern übersehene Verzweiflung und Wut der Opfer auf sich. [...]
Schwer zu ertragen ist die mehrfach auftauchende Gleichsetzung von Links und von Rechts – die Szenen seien sich „ungeheuer nah“, sagt Herr Heise. Die orientierungsuchenden Jugendlichen vielleicht, aber die „Szenen“ eben nicht – es ist ein verdammter Unterschied, ob eine „Szene“ Flüchtlingsheime anzündet, Schwarze ermordet wie in Eberswalde, linke Jugendliche ersticht wie in Friedrichshain, eine Bevölkerungsgruppe wie die sogenannten „Ausländer“ in Angst und Schrecken versetzt, oder ob „antifaschistische“ Jugendliche sich mit Rechtsradikalen prügeln, nachdem sie jahrelang in der Schule als linke Minderheit provoziert, isoliert und geschlagen wurden.
Wenn Herr Heise behauptet, die Rechten hätten in ihrem Haß eine „Utopie“, geleitet aus rudimentärer Mehrwerttheorie und Großdeutschland – ohne daß er das Wort Rassismus auch nur ein einziges Mal nennt! –, so ist dies ein zynischer Euphemismus. Auch Hitler hatte dann eine „Utopie“, ebenso Herr Schönhuber. Noch unerträglicher die Behauptung, die Linken verhielten sich nur in Gegnerschaft dazu, ohne Utopie. Als wären Menschenrechte, Respektierung von „Ausländern“, kulturelles Interesse, Integration oder soziale Gleichstellung keine Utopie. So kann nur jemand reden, den die Linke (zumindest die Jugendlichen) nicht interessiert. Tragisch, ja, daß diese Linke die Drecksarbeit einer Gesellschaft übernehmen muß, sich den Nazis entgegenzustellen, nach Rostock, Hoyerswerda, Quedlinburg fahren muß, vor Ort den minimalen Schutz einzelner Nicht-Nazis sichern muß. Unerträglich zynisch ist es, diese Aktivität dann zum Vorwurf zu machen, die Überforderung mit dem antifaschistischen Kampf (den unsere Gesellschaft an einem 8.11. abhandeln will) zum Mangel an Utopie zu erklären. Dahinter steckt ein seltsames Bedürfnis der Gleichsetzung von Links und Rechts – die Morde ließen sich nicht „auf das Rechts- Links-Schema“ reduzieren, sagt Herr Heise. Nein, die Morde sind rassistisch oder faschistisch, kämen als solche nicht vor, wenn die Jugendlichen in einer linken Bande wären. Die Aggression ist allgemein, aber die ausländerfeindlichen Mordanschläge jenseits des gesellschaftlichen rechten Rassismus zu sehen, dazu bedarf es schon einer erheblichen Ignoranz gegenüber diesem Phänomen. Wie dem Betrachter des Films schon auffiel (oder wie es sich als Vermutung zumindest aufdrängte), war das Schießen auf die Uhr eine fingierte Szene, fingiert vom „Dokumentarfilmer“ Heise, eine gewollte inszenierte Gleichsetzung mit der Pariser Kommune. Eben kein Dokument, sondern Szene. Auch so kann man die Gleichsetzung von Links und Rechts inszenieren. Ebenso in Ihrem Titel „Vaterlandslose Gesellen“.
Mein Großvater mußte noch als „vaterlandsloser Gesell“ und Sozialdemokrat seinen Beruf im Faschismus aufgeben, die Stadt wechseln. Ein nicht nur unpassender, sondern bösartiger Vergleich mit den Rechtsradikalen heute, die eben nicht auswandern müssen. Das müssen – gleichartig – vietnamesische und angolanische Arbeiter, linke Jugendliche aus brandenburgischen Dörfern, die sich nach Berlin flüchten, weil sie es nicht mehr aushalten, oder Flüchtlinge, deren Unterkunft abbrennt oder die nach Angriffen „umgesetzt“ werden. Das Vaterland, die Obrigkeit verschließt die Flüchtlinge aus Wismar, Hoyerswerda, Quedlinburg. „Vaterlandslose Gesellen“ ist eine unangemessene Verwechslung von Opfern und Tätern, neudeutsche Weinerlichkeit, die die gemeinsamen rassistischen Unter- und Obertöne dieser Gesellschaft negiert. Zum Schaden eines klaren Blickes auf die Wirklichkeit.
Aus leidvoller Vergangenheit sollten wir den Opfern wenigstens ihre Titel lassen, mit denen sie verfolgt wurden und sie nicht den neuen Tätern zur Charakterisierung überlassen. Den neuen Nazis mögen Arbeit und Perspektive fehlen, aber nicht das „Vaterland“. Aus dem müssen andere weichen, die, die der mörderischen Gewalt nicht mehr standhalten können. [...]
Die von Autonomen erzwungene Tafel mit nazistischen Anschlägen im Kino Babylon vervollständigt offenbar mühsam, was Film und Artikel nicht leisten: die Opfer der Wende auch als Täter zu sehen, die den rassistischen Konsens im Vaterland auf ihrer Seite haben. Dr. A. Heinz, Berlin
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