: Performance statt Sekte
■ Wider den Bierernst in interkultureller Beziehung
Wir leben hier in einer Welt universeller Anregungen. Mann/frau kann sich stundenweise in fremde Kulturen einkaufen. Was ist, wenn er/sie plötzlich mehr will als nur Spaß: psychisch, moralisch, politisch, ästhetisch?
Wovon jemand weg will, danach wird wenig gefragt. Denn daß „unsere Kultur“ keine richtige ist, das wird in den Berührungswünschen mit indischer, schwarzer, türkischer Folklore vorausgesetzt. Verlassen werden soll ein Patchwork aus abgelutschten Phantasien, blassen Empfindungen, langweiligen Gewohnheiten und Quietschgeräuschen aus Werbung und Alltagskommunikation. Eine solche Einschätzung bestätigen die Soziologen gern: Kapitalismus, Modernisierungen, Massenkultur, Medienzivilisation, Entfremdung – eine Welt ohne Authentizität. Die Frage ist: Kommen interkulturelle Kontaktwünsche also überwiegend aus Gefühlen des Mangels, des Überdrusses? Oder lassen sich doch „eigene Kulturen“ auch bei denen ausmachen, die auf die Suche gehen? Die Antwort ist wichtig, weil dann das Fremde nicht nur als Ersatz gesucht würde, sondern auch die Chance hätte, als Überschuß, Zugewinn interpretiert zu werden.
Was also könnten Kulturen sein, die da mitgebracht werden in die Workshops und Kontakthöfe, wo man/frau Begegnungen mit dem Fremden sucht? Doch sicher nicht eine deutsche Kultur (das hätten die Rechten gern). Oder eine europäische Kultur (das hätten die Liberalen gern).
Wenn alles einigermaßen normal verläuft, dann bringen wir wohl mit: eine bunte Mischung aus verrotteten Traditionsbeständen, eine Art Psycho-Pop, angefangene ästhetische, intellektuelle, moralische, politische Bildungsprozesse und viele Bilder und Phantasien, von denen wir nicht wissen, ob sie aus Familiensagas, Werbespots, Büchern, Popsongs oder Gesprächen kommen. Kultur kommt daher als ein Mischprodukt mit aufgerissener Verpackung – äußerem Zeichen einer langen Reise mit unsicheren Verkehrsmitteln. Eben zum Glück nicht als unberührtes Wertpaket: serbisch, deutsch, türkisch, dessen Verschickung von Soldaten beschützt wurde.
Kein Rockkonzert ohne Agentur; kein Glücksgefühl ohne die Geschichte banaler und werbegesättigter Räume; keine Tänze ohne spezialisierte Szenarien: Tanzschulen, Diskos oder Tekkno-Parties. Kultur als unwürdige Mischung.
Und plötzlich: Mit der Wendung hin zum Fremden soll eine auratische Nähe aufscheinen: Authentizität, Identität – erreichbar mit Hilfe der Kulturen der anderen. Die letzte Hoffnung von Zombies? Begehrt werden da tiefer Sinn und harmonische Bewegungen, die Innen und Außen verknüpfen und den Zwischenraum von dem Hausrat, den Devotionalien, den häßlichen und geliebten Dingen befreien sollen, die sich da angesammelt haben.
Die Sehnsucht nach Rettung durchs Fremde ist die Sehnsucht, auf die andere Seite der eigenen Lebensgeschichte, auf die andere Seite des eigenen Körpers zu gelangen. Was wäre dagegen zu sagen? Nichts. Wo es ein Spiel ist: Ich spiele den/die anderen. Vorübergehend. Ich lasse den Spielen ihren (fremden) Ursprung.
Die Problematik vieler interkultureller Kontakt- und Beziehungswünsche liegt in ihrem angestrengten Ernst. In dem sich leicht verkleben: moralische Pflichtgefühle mit therapeutischen Wünschen; religionsähnliche Kreuzzüge mit ästhetischer Neugier; erotische Experimentierlust mit hygienischen Sicherungsritualen; politische Goodwill-Aktionen mit verborgenen Beziehungswünschen. Falscher Ernst – das ist Imitation statt Spiel, Sekte statt Performance. Dagegen müßten Kulturkontakte „ihre Wunden zeigen“ (Beuys).
Merkwürdig im übrigen, wie wenig von den Künsten die Rede ist, wo es um Kulturkontakte, Multikulti geht. Dabei hätten sie einiges zu bieten: In der künstlerischen Praxis werden fremde Materialien rücksichtslos in Produktionsprozesse hereingerissen. Bleibt das Fremde nicht mehr an seinem Ort. Darin liegt ihre Unmoral. Aber wo sie gut sind, legen sie den Prozeß offen als das, was er ist oder doch sein sollte: ein genußreiches, anstrengendes, erkenntnissuchendes, symbolisches Verfahren, das sich in widersprüchlichen Produkten und vergänglichen Situationen verwirklicht: an den Grenzen zu fertigen, identitäts- und wiederholungssüchtigen kulturellen Praktiken. Helmut Hartwig
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