: „Kommt ausse Pötte“ – Rock gegen Rechts
■ 5.000 Menschen bei Rock gegen Rechts in Essen/ Ruhrpott meldet sich vielstimmig zu Wort/ Am Montag die nächste Aktion in Bochum
Essen (taz) – „Früher war Rechtsradikalität in der Bundesrepublik geächtet.“ Wer sich dazu bekannt habe, so fährt Edna Brocke, Leiterin der jüdischen Synagoge in Essen, unter starkem Beifall fort, „hat sich damit aus der Gesellschaft herauskatapultiert. Diese Ächtung müssen wir wieder erreichen.“
5.000 Menschen sind am Mittwoch abend in Essen „ausse Pötte“ gekommen, um Flagge zu zeigen, um ihren Teil dazu beizutragen, den von Edna Brocke beschriebenen Klimawechsel rückgängig zu machen. Inspiriert durch das phantastische Signal der 100.000 in Köln – „Arsch huh – Zäng useinander“ (Arsch hoch, Zähne auseinander) – hat der Essener Journalist Bernd Siepmann zusammen mit örtlichen Musikern und Szene-Gastronomen das Konzert innerhalb von nur zehn Tagen aus dem Boden gestampft.
„Wir sind nicht so naiv, zu glauben, daß man über ein Konzert einen Rechten vom Weg abbringen kann, aber wir wollen zeigen, wir sind auch noch da.“ 16 Bands und Kabarettgruppen heizten dem überwiegend jungen Publikum mächtig ein, ließen das naßkalte Wetter vergessen. Tom Mega, Stefan Stoppok, die Oberhausener Missfits oder Herbert Knebels Affentheater, es durfte geschwooft und – trotz des bitterernsten Anlasses – viel gelacht werden.
Friedrich Küppersbusch, wegen seiner blitzgescheiten „ZAK“-Moderation im WDR-Fernsehen schon fast so etwas wie eine Kultfigur, sah keinen Anlaß für verkniffene Zurückhaltung: Wäre ja gar nicht so schlecht, „wenn wir die, die uns auf die Nerven gehen, einfach kaputtlachten“.
Des Moderators Devise: „Wir brauchen keinen Verfassungsschutz mehr, das machen wir jetzt selber.“ Wie das im kleinen, im Alltag umzusetzen ist? Zum Beispiel aus dem Taxi aussteigen, wenn es mal wieder dumpfe Sprüche hagelt oder, so Küppersbusch, die Zeitung „nicht unbedingt da kaufen, wo ein Nazischweineblatt daneben prangt“.
Es gibt eben viele Möglichkeiten, um etwas zu tun, um endlich „ausse Pötte“ zu kommen. Beim Konzert in Essen waren Millionen am Radio live dabei. 24 Lokalsender übertrugen direkt, und das WDR-Fernsehen schaltete sich gleich mehrmals live dazu.
Wie kalt es in Deutschland inzwischen tatsächlich ist, hat der südafrikanische Journalist Lindo Khumalo dem Publikum mit einer bitteren Geschichte belegt. Sie handelt von dem Mosambikaner Joao Makumba, einst als Vertragsarbeiter in die DDR geholt. Makumba wurde am 26. November 1989 in Hoyerswerda von Skins brutal zusammengeschlagen – mit schwerwiegenden Folgen für seine Sehkraft. Und wie haben die deutschen Behörden auf das Verbrechen reagiert? Sie schoben ihn ab. In Mosambik muß sich der fast erblindete Makumba jetzt unter erbärmlichsten Bedingungen durchschlagen.
Manche auf dem Essener Weberplatz mochten diese Geschichte gar nicht glauben – aber sie ist wahr.
Am Sonntag wird in Frankfurt unter dem Motto „Helfen statt hauen“ gegen rechts gerockt. Erwartet werden dort rund 100.000 Besucher.
Die Veranstalter meinen, es könnten aber auch eine halbe Million Menschen werden. 28 Bands und Interpreten von BAP bis Marius Müller-Westernhagen werden auf dem Messeplatz einheizen. Am Montag meldet sich das Revier vor dem Bochumer Schauspielhaus mit Wort und Ton wieder zu Wort: Dann heißt es „Aufstehen und nicht vergessen“.
Walter Jakobs
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