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Zwiespalt auf dem Weg nach Hause

■ 300000 Menschen beim "Alsterleuchten" gegen Fremdenhaß / Zwischen Hoffnung und Skepsis / "Wie wollen unsere Vergangenheit nicht als Zukunft" / Kritik an Medien

/ Zwischen Hoffnung und

Skepsis / „Wir wollen unsere Vergangenheit

nicht als Zukunft“ / Kritik an Medien

Vorbei. Kerzen abgebrannt, Taschenlampen aus, Lampions wieder im Schrank, die „Lite-Up-Litesticks“ verglüht. Vielleicht noch ein Aufkleber an der Jacke, ein Button am Pullover. Hamburg hat demonstriert gegen Ausländerhaß und Fremdenfeindlichkeit. 250-, 300-, 350tausend Menschen rund um die Alster, das erwartete Lichtermeer. „Beeindruckend,“ resumiert der NDR-Reporter. Die größte Demonstration, die Hamburg je erlebt hat, meldete die Polizei gestern abend. Und jetzt?

Die Einschätzungen der Menschen über die Wirkung des „Alsterleuchtens“ sind geteilt an diesem Sonntagabend. Skepsis mischt sich beim Nachhausegehen mit Hoffnung: „Ach, das wäre wunderbar, wenn das was nützen würde, aber ich glaube es nicht“, sagt eine ältere Dame; „Besser als nichts“, kommentiert ein Computerfachmann mit britischem Paß; „eher Gewissensberuhigung, eine Art Happening,“ meinen Christian und Katrin, die aus Winsen an die Alster gekommen sind.

Zum Happening allerdings fehlen an diesem Abend die Attraktionen. Dicht an dicht stehen die Demonstranten an den Ufern der Binnen- und Außenalster, versuchen einen Blick auf das Lichtermeer zu ergattern, drängen sich, die Hände schützend vor den Kerzen, durch die Straßen und Wege. „Passiert hier noch was?“ Nein, keine Kapelle, keine Rede, selbst die beiden Heißluftballons steigen nicht auf. Nur Lichter. „Haben die Kirchenglocken eigentlich schon geläutet,“

1ist die meistgestellte Frage an diesem Abend. Sie haben. Nur zu hören waren sie kaum, zu laut die vier Hubschrauber, die unentwegt über der Innenstadt kreisen. Einer von der Polizei, „den brauchen wir wegen der Sicherheitslage,“ und drei für die Hamburger Medien, die schließlich nicht nur aufrufen, sondern auch berichten wollen.

„Die Brandstifter rufen auf zum Feuerlöschen.“ Lars' Kommentar, deutlich zu lesen auf dem Rücken des 13jährigen, fällt wenig freund-

1lich aus für die Initiatoren des Alsterleuchtens. „Die haben den Ausländerhaß doch selbst mit ausgelöst.“ Das finden auch andere. Ingrit und Walter Schlosser aus Norderstedt zum Beispiel: „Die Politiker haben gezündelt und die Medien.“ Die Schlossers haben sich Aufkleber auf die ihre Jacken geklebt. „Alsterleuchten — Für Frieden — gegen Fremdenhaß,“ steht drauf, verteilt wurde der Aufkleber von der Bild-Zeitung. Zwiespalt.

Nicht nur die Medien haben mo-

1bil gemacht an. Viele Betriebe haben ihre Belegschaften aufgerufen zur Alster zu gehen. Die Lintas- Werbeagentur hat Transparente angefertigt: „Wir wollen unsere Vergangenheit nicht als Zukunft.“ Und wie wird diese Zukunft aussehen? „Morgen geht's weiter,“ verspricht Lintas-Mann Harald Hotopp. Ein Film gegen Neo-Nazismus ist in Planung, RTL will ihn umsonst ausstrahlen. Und die nächste Demo. Irgendwann im Januar. uex

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