: Die retrospektive Komponente der Subsidiarität Von Ralf Sotscheck
Kaum haben sie sich getrennt, da gehen sie gemeinsam essen: Prinz Charles und Prinzessin Diana speisten am Freitag auf der königlichen Yacht Britannia, auf der sie vor elf Jahren ihre Hochzeitsreise verbracht hatten. Diesmal ging es allerdings weniger romantisch zu: Nicht nur Charlies Eltern, Schwester und Tante waren dabei, sondern auch zwölf Staats- und Regierungschefs sowie ebenso viele Außen- und Finanzminister. Die Queen hatte die ganze Bagage anläßlich des EG-Gipfels in Edinburgh auf ihren Kahn eingeladen. Charles und Diana speisten an getrennten Tischen: Die Prinzessin nur einen Fußtritt von ihrer Schwiegermutter entfernt und Charles am Katzentisch neben Helmut Kohl. Die BritInnen nehmen es Diana übel, daß sie am Samstag der erneuten Hochzeit ihrer Schwägerin Anne fernblieb, obwohl die ebenfalls in Schottland ausgetragen wurde. Bei einer Umfrage sprachen sich 80 Prozent der Befragten gegen eine zukünftige Königin Diana aus, obwohl das theoretisch auch bei einer Trennung zulässig wäre. Genausowenig will das Volk allerdings Prinz Henkelohr zum Monarchen. Er soll zur Oma nach London ziehen, war der allgemeine Tenor. Die hat aber offensichtlich die Schnauze von der Familie voll: Sie ließ sich nur widerwillig und kurz bei Annes Hochzeit blicken. Da die ungewohnte Auskunftsfreudigkeit der Windsors neuerdings im starken Gegensatz zur klandestinen Verschwiegenheit der Euro-Politiker steht, liefen die Zerrüttungs-Dossiers über die Familie Queen den Berichten vom EG-Gipfel den Rang ab. Das Wappen der britischen EG-Präsidentschaft hatte symbolischen Charakter: ein zahnloser Löwe, dem zwölf Sterne wie beim Alkoholrausch um den Kopf kreisen. Die mehr als 2.000 Journalisten, die sich in einer zum Pressezentrum umgebauten Turnhalle um die knappen Arbeitsplätze balgten, waren für jede Nebensächlichkeit dankbar. Doch die gipfelnden Politiker samt ihrer Sprachrohre hielten dicht. Auf die Spitze trieb es der griechische Außenminister Papaconstantinou: Zunächst ließ er Hunderte JournalistInnen, die eines Wortes über Mazedonien harrten, anderthalb Stunden in einem völlig überfüllten Raum warten. Dann steckte er den Kopf zur Tür hinein und rief: „Ich sage nichts.“ Kein Wunder, daß selbst die belanglosen Meldungen der Nachrichtenagenturen unter der Hand gehandelt wurden. Ein EG- Beamter verteilte ein Papier über Subsidiarität an ausgewählte Presseleute, als handle es sich dabei um ein Staatsgeheimnis. Das Papier enthielt verblüffende Details: Demnach sollen die „Haltung von Tieren in Zoos“, die „Frequenzbänder für die koordinierte Einführung des digitalen Nahbereichsfunks“ und sogar die „gemeinsame Bestimmung des Begriffs Gemeinschaftsreeder“ nicht wie vorgesehen von der EG- Kommission vorgeschrieben werden. Darüber hinaus gebe es laut Regierungssprecher Dieter Vogel auch eine „retrospektive Komponente der Subsidiarität“ – soll heißen: Überflüssiges aus der Vergangenheit wird gestrichen. Möglicherweise auch die „Mehrwertsteuer auf Bordbedarf“. Die Queen würde es freuen: Dann käme sie in Zukunft bei Gelagen mit EG-Politikern auf ihrem Boot billiger davon...
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