: Impulse für Arbeitsschutz
■ Zahl der Berufskrankheiten steigt rapide an / Weniger Arbeitsunfälle
rapide an / Weniger Arbeitsunfälle
„Nur jeder dritte Arbeitnehmer geht gesund in Rente“, hat Sozialsenator Ortwin Runde herausgefunden. Schleichende Gesundheitsrisiken durch Gefahrstoffe, Streß und Schichtarbeit fordern ihren Tribut. So verdoppelte sich in den vergangenen zehn Jahren die Zahl der an einer Berufskrankheit leidenden Personen.
Doch nicht jede Erkrankung, die die Beschäftigten auf ihre Arbeitsbelastung zurückführen, wird von den Krankenkassen auch als Berufskrankheit anerkannt. 1991 wurden 1667 Erkrankungen von den Beschäftigten als berufsbedingt bei den Berufsgenossenschaften angezeigt. Davon wurde lediglich in 597 Fällen ein Zusammenhang zwischen Erkrankung und beruflichen Einflüssen von den Amtsärzten attestiert. Und nur in 220 Fällen wurde die Krankheit den Unfallversicherungsträgern zur Anerkennung als entschädigungspflichtige Berufskrankheit vorgeschlagen.
Für Senator Runde ist dieses Mißverhältnis Grund genug, „eine Umkehrung der Beweislast“ zu fordern: „Besteht der Verdacht einer Berufskrankheit, sollte dies anerkannt werden“, so der Senator, „solange nicht das Fehlen beruflicher Ursachen nachgewiesen ist.“
Alarmierend ist für das Amt für Arbeitsschutz vor allem die Zunahme der durch Gefahrstoffe verursachten Erkrankungen. Während die Lärmschwerhörigkeit in der Liste der Berufskrankheiten weiter an Bedeutung verlor, sind schwere Hauterkrankungen mit 446 Fällen nach wie vor der Spitzenreiter. Mit Gefahrstoffen wird besonders in der chemischen Industrie hantiert — dort verlieren sogar Fachleute im Dschungel von über 100000 Einzelstoffen den Überblick.
Doch auch in Druckereien werden gefährliche Flüssigkeiten zum Säubern der Maschinen eingesetzt. Bisher verwenden nur 20 Prozent der Betriebe Öle, die auf Pflanzenbasis hergestellt sind. Ein weiterer wichtiger Krankheitsverursacher ist Asbest. Dazu heißt es im gestern veröffentlichten Jahresbericht des Arbeitsschutz-Amts: „Bereits jetzt werden in Hamburg pro Jahr etwa 100 asbestbedingte Erkrankungen von den Berufsgenossenschaften anerkannt, davon rund 50 tödlich verlaufende.“
Halbiert hat sich seit den 70er Jahren jedoch die Zahl der von den Arbeitsschützern registrierten Berufsunfälle — von rund 25000 auf 12801. 21 davon verliefen tödlich.
Runde forderte umfangreiche Maßnahmen für mehr Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz. Dazu müsse das zersplitterte Arbeitsschutzrecht in einem überschaubaren Arbeitsschutzgesetzbuch neu geregelt werden. „Das Arbeitsschutzrecht muß für alle Beschäftigten und in allen privaten und öffentlichen Tätigkeitsbereichen grundsätzlich gleichermaßen Gültigkeit haben.“
Eine intensive Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, Betriebsräten und Berufsgenossenschaften hält der Sozialsenator für unerläßlich. Nach Aussage des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) wird eine solche Zusammenarbeit von Seiten der Gewerkschaft erneut für Anfang 1993 angestrebt. „Dann starten wir verschiedene Aktionen“, sagt DGB-Mitarbeiter Klaus Geißelbrecht, „bei denen Arbeitsschutz Schwerpunktthema ist.“
Ortwin Runde will dem Arbeitsschutz sobald wie möglich neue Impulse geben. „Die Gesundheit darf nicht länger der Wirtschaft untergeordnet werden.“ Der mehr als 100 Jahre alte Paragraph 120 der Gewerbeordnung, in dem es heißt, daß „Arbeitnehmer soweit geschützt sind, wie es die Natur des Betriebes gestattet“, müsse abgeschafft werden. Torsten Schubert
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