: „Einer wie der Juhnke ist gefährlich“
■ Ein Treffen mit Harald Juhnke, der in Ralf Huettners „Papagei“ Schönhuber karikiert/ Das Ereignis der Hofer Filmtage ist heute im Fernsehen, ARD, 20.15 Uhr
Kaum sind das Aufnahmegerät installiert und der Kaffee bestellt, ist er auch schon da und läßt sich in den knarzenden Rattansessel sinken. Die Blicke der anderen Gäste richten sich auf den Herren im dunklen Clubjackett mit aufgesticktem Wappen und rotem Einstecktuch und beobachten, wie er eine Zigarre ansteckt. Die Kameras sind auch schon da, denn hier im „Hilton“-Hotel in Ostberlin wird allsonntäglich die Sat.1-Show „Talk im Turm“ aufgezeichnet, die Welt ist eine Bühne. Harald Juhnke, der früher Oma und Opa mit „Musik ist Trumpf“ entzückte und anderen dafür fernsehfreie Stunden, ohne das Gefühl, etwas verpaßt zu haben, bescherte, wurde gerade bei den Hofer Filmtagen für seine Glanzrolle in Ralf Huettners „Der Papagei“ bejubelt.
In der Politsatire, die heute im Fernsehen kommt und zum Besten gehört, was der deutsche Film zur Zeit zu bieten hat, verwandelt sich Juhnke von einem Propagandisten für Gemüsehobel in den Spitzenkandidaten einer rechtsnationalen Partei. Wer Juhnke als besseren Schönhuber-Vertreter gesehen hat, weiß, daß der Mime mehr als ein für Kaffeefahrten geeigneter Sahnetortenschmeißer ist: Spätestens mit dieser Rolle beweist er einem großen Publikum, daß er als Schauspieler erster Klasse ernstgenommen werden muß. Ebenso wie Grenouille in Patrick Süskinds Roman „Das Parfüm“ die Massen benebelte, zeigt Juhnke im „Papagei“, was passieren kann, wenn einer mit Charisma für Rechtsaußen Politik macht.
Bevor die erste Frage gestellt ist und seine Rauchware den Tisch umdampft, um sich mit dem Duft seiner Herrenserie zu vermischen, sprudelt er los: „Bei den Dreharbeiten des ,Papagei‘ war mir manchmal unheimlich zumute. Mit einem Schild ,Drehen mit Juhnke‘ haben wir für Komparsen geworben. Wenn ich dann brav gestylt – so wie sich viele den guten Deutschen vorstellen – Wahlreden gehalten habe, die Huettner geschrieben hat, klatschten die Leute. Das war ein Beifall, der nicht im Drehbuch stand. Am Ende wollten die sogar in die Partei eintreten! Auch am Gemüsestand, als ich diese Schnitzeldinger verhökerte, haben sich Passanten für die Filmpartei NSDU interessiert. Die Realität vermischte sich mit der Fiktion.“ Juhnke zieht an seiner Zigarre. „Einer wie Adolf Hitler hätte in der Bildschirmzeit keine Karriere gemacht. Weil er aussah wie ein Briefträger und diese bellende Stimme... Wenn man sich fragt, wie das möglich gewesen ist, und sieht, auf was die Leute fliegen, das ist erschreckend. Oh Gott, hab' ich gesagt, so einer wie der Juhnke ist gefährlich. Ich könnte ja auch eine Partei aufmachen! Die Leute lassen sich von einem politisch verführen, der eine gute Ausstrahlung besitzt und sich verkaufen kann.“
„Der Schauspieler im Film macht das, weil er abgewirtschaftet hat. Weil jeder bei gewissen Summen bestechlich wird. Später benutzt er die rechtsnationalen Worthülsen, weil er in dieser Rolle seinen größten Erfolg hat.“ Juhnke klopft mit der Streichholzschachtel auf den Tisch: „Heute ist es ein leichtes, unzufriedene Leute anzutreffen, und die Politiker produzieren nur Sprechblasen. Willy Brandt hätte in Rostock und Hoyerswerda den Anfängen gewehrt.“ Das Gespräch wird unterbrochen. Eine junge Frau nähert sich dem Tisch: „Herr Juhnke, ich bin ein Fan von Ihnen. Außerdem erinnern Sie mich an meinen Papa. Darf ich Sie um ein Autogramm bitten?“ Herr Juhnke freut sich höflich, unterschreibt ein Papier und wünscht ein schönes Wochenende.
Warum hat er die Rolle übernommen? „Weil die Rolle ein Traum für jeden Schauspieler ist. Und daß ich Herrn Schönhuber nicht leiden kann, können Sie sich ja vorstellen. Und weil ich glaube, daß so ein Film eine größere Wirkung hat als jedes Gespräch in den ,Tagesthemen‘. Man muß auch unterhalten, um bestimmte Leute zu erreichen. Sonst guckt die schweigende Mehrheit nicht hin. Der Humor bricht Schranken. Als ich den ,Papagei‘ in Hof gesehen habe, war ich überrascht, daß so viel gelacht wurde. Doch im nächsten Moment erschrecken sich die Leute. Ich glaube, daß die Tragikomödie, das Lächerlichmachen der Figuren, mehr bewirkt, als wenn die Geschichte bierernst erzählt worden wäre.“ Der „Papagei“ ist im Frühjahr gedreht. Hätte der Film nach Mölln anders ausgesehen? „Wenn es Tote gibt, ist keine Komödie mehr möglich. Heute müßte man den Film anders machen, härter.“
Findet er es schade, daß der „Papagei“ nicht im Kino läuft? „Im Kino wäre er besser gewesen. In Hof habe ich gesehen, daß der Film vor allem junge Leute anspricht. Ich finde, daß man sich jetzt um die jungen Leute kümmern muß. Die sind im Kino besser zu erreichen. Die interessieren sich nicht für die Sachen, die ich früher gemacht habe. Viele schalten dann das Fernsehen nicht ein, denn sie wissen nicht, daß ich ins Charakterfach gewechselt habe. Daß ich da einsteige, ist erst durch ,Schtonk‘ bekanntgeworden.“ Eine junge Frau kommt an den Bistrotisch. „Entschuldigen Sie, aber ich arbeite für ein Kulturmagazin in Vox, haben Sie nachher Zeit für ein Interview? Sie sind doch der Berliner VIP.“ „Was ist Vox?“ fragt Juhnke. „Ein neuer Fernsehsender. Ruprecht Eser“, so die Antwort. Juhnke gibt ihr eine Telefonnummer, unter der sie einen Termin vereinbaren kann.
Im selben Moment erspäht Juhnke eine andere Prominenz aus Berlin. „Das ist doch...“ Erich Böhme läßt wenige Meter entfernt seine Brille in den Händen kreisen. „Und da ist doch...“ Amelie Fried schwingt durch die Drehtür. Nebenan plaudert Talk-Gesicht Giovanni di Lorenzo. Einen Tag zuvor hat er ebenso wie Harald Juhnke einen „Bambi“ in Empfang genommen. Di Lorenzo für seine Münchner Lichterkettenaktion wider den Ausländerhaß, Juhnke für seinen Auftritt in Helmut Dietls „Schtonk“. Da muß Juhnke mal eben „Guten Tag“ sagen. Strahlend durchquert der Schauspieler das Foyer, um Hände zu schütteln. Auf der Rückreise zum Bistrotischchen wird er selbst von Fans gestoppt, die ihn als Gruppenbild mit Juhnke in ihrem Fotoalbum sehen wollen. Juhnke spielt mit.
„Ach weeßte...“ Juhnke duzt mich jetzt. Während seiner Abwesenheit habe ich festgestellt, daß auf die moderne Technik kein Verlaß ist: Das Aufnahmegerät hat seinen Geist aufgegeben. Was wird aus dem Interview? Ich fürchte, daß alles weg ist. Auch Juhnke ist betroffen. „Wat, allet?“ Wir nesteln gemeinsam an den Kabeln. Juhnke testet das Mikro: „Hallo, ist da was drauf?“ Zum Glück ist ein Teil noch da. Ich steige auf traditionelles Schreibgerät um, und Juhnke faßt seine Stichworte noch einmal zusammen.
Will er jetzt zugunsten seiner neuen Charakterrollen sein Glitzerjackett für immer an den Nagel hängen? Nein, er will weiter zweigleisig fahren, wenn auch reduziert. Als Entertainer könne er in Shows „etwas reinbringen“ und damit Leute erreichen, die sich sonst nichts Ernstes anschauen wollen. Zum Beispiel plant er, mit einem Stückchen Shakespeare, dem Monolog vom Prinzen Heinrich, auf die Stasi-Mentalität, auf das Verständnis von Schuld und Sühne anzuspielen. „Man muß sich daran gewöhnen, daß ich verschieden Seiten habe. Schauspieler werden immer in einen Kasten gesteckt. Wer im Fernsehen Unterhaltung macht, büßt seine Seriosität ein.“ Demnächst macht er als „Forstarzt“ eine Comedy-Serie: „Die paßt auch in die Zeit.“ Von den Live-Auftritten will er sich jedoch Ende '92 mit einer Gala verabschieden. Wieso hat er früher überwiegend Unterhaltung der leichtesten Art gemacht? Gab es keine Angebote? Zunächst habe er prominent werden wollen. Und Geld verdienen. Einmal hat ihn Faßbinder eingeladen. „Ich will den kaputten Juhnke“, habe der zu ihm gesagt, „Sie strahlen ja sogar in der Gosse.“ Doch zu einer Zusammenarbeit sei es nicht mehr gekommen, der Regisseur starb wenig später.
Nein, seine Prominenz ist ihm nur dann lästig, wenn „er nicht gut drauf“ ist. Wie damals, als er im Krankenhaus lag und die Bild-Zeitung schrieb, er werde jetzt an Leberkrebs sterben. „Da habe ich geglaubt, die Ärzte belügen mich. Doch ich lebe immer noch.“ Vom Alkohol spricht er, ohne darauf angesprochen zu werden. „Früher war der Whiskey wichtig, jetzt ist die Arbeit wichtig.“ Ständig werde er beobachtet, wenn er jetzt etwas Alkoholisches zu sich nähme, heißt es gleich: „Juhnke trinkt wieder.“
Filmproduzenten, Journalisten, verkrachte Showmaster sind für ihn als Schauspieler interessant. „Den Trinker“ von Hans Fallada möchte er spielen. Die Geschichte eines Mannes, der von Verlogenheit umgeben als einziger die Wahrheit sagt: „An einem blitzsauberen Ort, dem man das Kaputte äußerlich nicht ansieht. Vielleicht in Schleswig-Holstein.“ Auch einen zweiten Teil vom „Papagei“ soll es geben. Was macht so einer wie der Gemüsevertreter nach seinem Ausstieg aus der Partei? „Der geht in die Industrie.“
Was hält er von den anderen Unterhaltern? Er gilt doch als bester deutscher Entertainer. „Unter den Blinden ist der Einäugige König“, sagt Juhnke. Jauch gefällt ihm. Gottschalk hätte sich nicht auf das politische Gleis begeben sollen. Doch treffe ihn nicht alleine die Schuld, RTL hätte das „Plappermäulchen“ nicht mit Schönhuber alleine lassen dürfen. Der Nachwuchs im Unterhaltungsgeschäft solle besser ausgebildet werden. Nicht jeder solle sich wie er alles selber beibringen müssen, bis er in einer Halle vor angetrunkenen Bierbrauern auftreten könne.
Als wir uns verabschieden, eilt Harald Juhnke auf einen Bekannten zu, den ich im Hotel getroffen habe. „Guten Tag, kennen wir uns nicht?“ sagt der, den alle kennen, zu seinem verdutzten Gegenüber. Dann entwischt er durch die Drehtür. Das Hotelpublikum verfolgt ihn mit den Augen. Sabine Jaspers
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