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Reibungslos integriert?

■ Bremerhavener Studie über Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg

Mehr als 12 Millionen deutsche Flüchtlinge zogen nach 1945 aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und aus der sowjetischen Besatzungszone in die spätere Bundesrepublik. Wie ihre „Eingliederung“ im Westen in den ersten Nachkriegsjahren ausgesehen hat, untersuchte der Historiker Uwe Weiher für die Stadt Bremerhaven. Das Ergebnis seiner jetzt veröffentlichten Studie kann den Mythos von der reibungslosen Integration ankratzen.

1959 waren mehr als ein Fünftel der BewohnerInnen Bremerhavens Flüchtlinge oder deren Nachkommen. Obwohl die Versorgungslage der Stadt wegen ihrer Rolle als amerikanischer Nachschubhafen besser war als anderswo, litten die EinwohnerInnen nach der fast völligen Zerstörung des Zentrums unter dem katastrophalen Wohnungsmangel. Die Flüchtlinge waren „trotz vieler Hilfen eine isolierte Bevölkerungsgruppe“, stellt Weiher fest. Sie lebten in baulich und hygienisch mangelhaften Barackenlagern, teilweise dort, wo vorher polnische, russische oder französische Zwangsarbeiter untergebracht waren. Sie teilten ihren Platz mit Flöhen, Wanzen und Mäusen, sie litten unter Läusen und Krätze. „Die Wohnverhältnisse gehörten zu den schlimmsten Erscheinungen der damals herrschenden Wohnungsnot. Von einer Eingliederung kann keine Rede sein.“ In

hierhin Barackenlager

Barackenlager Weddewarden

einem der größten Lager im Ortsteil Weddewarden mit mehreren hundert BewohnerInnen häuften sich die Klagen über menschenunwürdige Zustände, diktatorisches Verhalten des Lagerleiters und persönliche Bereicherung bei willkürlichen Durchsuchungen. Erst als die Flüchtlinge Interessenverbände und Landsmannschaften bildeten, reagierten die Behörden. Steigene Auktionsumsätze bei der Hochseefischerei und die günstige Auftragslage er Werften verbesserten in den 50er Jahren die Beschäftigungslage und damit die auch die Arbeitschancen der Flüchtlinge.

Als die sozialen Probleme geringer wurden, konzentrierten sich die Vertriebenen-Verbände auf politische Agitation. Tenor: Die Wiederbesiedlung „der deutschen und europäischen Ostgebiete“ bleibe „unverrückbar das Endziel der gesamten Arbeit“. Die sich nationalisierenden Flüchtlingsverbände wurden zu „Hemmschuhen für die weitere Eingliederung“. 1960 war der größte Teil der Flüchtlinge sozial und wirtschaftlich eingegliedert. Die eigene Partei, der „Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten“ war schon 1955 bei den Wahlen zum Kommunalparlament an der 5 %-Klausel gescheitert. hh

Uwe Weiher:“Die Eingliederung der Flüchtlinge und Vertriebenen in Bremerhaven 1945 — 1960“, Stadtarchiv Brv., 1992

(oben: Hinweistafel in Bremen)

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