piwik no script img

Israel: Abschiebung vorerst gescheitert

Nach der Ermordung eines israelischen Grenzbeamten wollte die Regierung Rabin ein deutliches Zeichen setzen/ Washington will gemeinsame Front gegen „Hamas“  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag wurden im Rahmen einer geheimen Militäroperation 418 angebliche Aktivisten der islamischen Hamas-Bewegung aus den besetzten Gebieten an die Grenze zwischen Israel und Libanon gebracht und sollten noch vor Morgengrauen deportiert werden. Die am Mittwoch von der Regierung als Antwort auf die Ermordung eines israelischen Grenzbeamten gedachte und geheim beschlossene Aktion konnte jedoch nicht mit der geplanten Geschwindigkeit durchgeführt werden: Israelische Rechtsanwälte, Vertreter der betroffenen Familien und der israelischen Gesellschaft für Bürger- und Menschenrechte hatten beim obersten Gericht in Jerusalem Einspruch erhoben.

Der Präsident und zwei erfahrene Richter des Gerichts haben beschlossen, die Entscheidung einem siebenköpfigen Richter-Gremium zu überlassen – was ein hier äußerst seltenes Ereignis ist. Der Stabschef der israelischen Armee wurde eingeladen, vor diesem breiten Richterforum zu erscheinen und in offener Sitzung zu begründen, weshalb die unkonventionelle und von der bestehenden Rechtsroutine abweichende „Expreßdeportation“ von den Militärbehörden angeordnet wurde. Die Regierung hatte eine Gerichtsverhandlung unter Ausschluß der Öffentlichkeit verlangt, aber das oberste Gericht entschied zugunsten der Appellanten.

Der Standpunkt der Rechtsvertreter der Palästinenser ist, daß die geplante Deportation von rund 400 Bewohnern der besetzten Gebiete gesetzwidrig ist und internationales Recht sowie die Genfer Konventionen verletzt.

Seit 4 Uhr früh warten die gefesselten und mit Augenbinden versehenen Deportationskandidaten in 22 Autobussen an der Grenze bei Metulla (Nordisrael) auf die Entscheidung des obersten Gerichts. Sie wurden bei Nacht und Nebel, bei Regen- und Schneestürmen aus dem Ansar-3-Internierungslager im Negev an die Libanon- Grenze gebracht, um in den Südlibanon abgeschoben zu werden. Die Regierung betont, daß es sich nicht um Deportationen „im alten Sinne“ handelt, sondern um eine zeitweilige Ausweisung für die Dauer von bis zu 2 Jahren, gegen die in Israel post factum bei einem Appellationsgericht dann auch Einspruch erhoben werden kann.

Durch die ungewöhnlich massive Deportationsaktion will die Regierung ihre Glaubwürdigkeit und die der Sicherheitskräfte bei der Bevölkerung Israels zurückgewinnen, nachdem diese durch die zahlreichen Angriffe auf Militärobjekte in den besetzten Gebieten in den letzten Wochen untergraben und in Frage gestellt worden war. Gleichzeitig sucht Rabin die damit zusammenhängende Offensive der rechten Oppositionsparteien zu brechen und bei dieser Gelegenheit womöglich auch seine Koalitionsregierung mit Vertretern der Rechten zu erweitern.

Die israelischen Behörden sind auf internationale Proteste durchaus eingestellt und rechnen damit, daß die arabischen Gesprächspartner in Washington die jetzt sowieso vor einer längeren Unterbrechung stehenden Verhandlungen boykottieren. Als Zuckerbrot sollen den Palästinensern dann Konzessionen bei den Autonomie-Verhandlungen angeboten werden, wobei der PLO in Tunis dann mehr Einfluß auf die Verhandlungen versprochen werden könnten. Einigen Quellen zufolge soll dazu bereits eine Absprache zwischen Washington, Tunis und Jerusalem bestehen, die Israels gegenwärtigen harten Kampf zur Eliminierung der Hamas als politischen Faktor in den besetzten Gebieten erst möglich macht. Die gegenwärtigen Proteste der Palästinenserführung und des State Departments seien – so die israelischen Stellen – nur formeller Art und spiegeln die wahren Hintergründe – den scharfen Kampf gegen Hamas – nicht wider. Die neue internationale „Front“, welche die USA gegen Irans Regierung, die angeblich auch der Hauptgeldgeber für Hamas ist, initiiert und an der sich auch andere arabische Regierungen beteiligen, sollen dem gemeinsamen Unternehmen gegen Hamas in den besetzten Gebieten, vor allem im Westen, rechtfertigen.

In Israel haben die rechten Parteien und Siedler die Schritte der Regierung allgemein gepriesen. Andererseits stellen sie mit Bedauern fest, daß keine anderen „Terrororganisationen“ von den Deportationen betroffen sind und daß nicht schnell genug gehandelt wurde, um die Appellationsverfahren beim obersten Gericht zu vermeiden. Rechtsparteien (mit Ausnahme des Likud) erklären sich bereit, an einer Notstandsregierung Rabins teilzunehmen, die das Hauptziel hat, den „palästinensischen Terror“ zu liquidieren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen