piwik no script img

Deutsche Stahlhelme ab in die Wüste

■ Kohl will Bundeswehr nach Somalia schicken/ SPD erwägt Klage/ Grüne: Verfassungsbruch

Bonn (taz) – Unter dem heftigen Protest der Opposition hat Bundeskanzler Helmut Kohl gestern den ersten Einsatz bewaffneter deutscher Soldaten außerhalb des Nato-Gebietes in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland angekündigt. Kohl verkündete gestern mittag vor der Bundespressekonferenz in Bonn, er wolle der UNO anbieten, schon in sechs bis acht Wochen ein „verstärktes Transport- und Nachschubbataillon“ mit bis zu 1.500 Soldaten nach Somalia zu schicken. Dieser Verband solle nur in „befriedeten Zonen“ zum Einsatz kommen, neben Pionieren und Fernmeldern aber auch eine „Unterstützungs- und Selbstschutzkomponente“ haben.

Die Soldaten, so wurde im Verteidigungsministerium erläutert, sollten mit „leichten Waffen“ ausgerüstet werden. Nach internationalem Recht hätten sie die Möglichkeit, sich selbst zu verteidigen, erklärte Kanzleramtsminister Friedrich Bohl (CDU). Dazu zählten „Ordnungs- und Sicherungsmaßnahmen zur Sicherung des Materials und der Personen“.

Bohl beteuerte, der Somalia-Einsatz bewege sich „voll und ganz im Rahmen der Verfassung“. Auch die FDP-Minister hätten ihm im Kabinett zugestimmt. Voraussetzung für einen Einsatz sei ohnehin, daß der UN-Generalsekretär Somalia ganz oder teilweise für „befriedet“ erkläre. Erst dann könnten die Bundeswehrsoldaten zum Einsatz kommen. Bereits jetzt, so kündigte Kohl an, werde die Bundesrepublik die Zahl ihrer Hilfsflugzeuge vergrößern. Statt der bisherigen zwei sollten nun acht Transall-Maschinen Hilfsgüter nach Somalia fliegen, hieß es im Verteidigungsministerium. Außerdem will die Bundesregierung „schnellstens“ Experten des Technischen Hilfswerks entsenden, die helfen sollen, die Wasser- und Stromversorgung sicherzustellen. Nach einer Befriedung Somalias werde Deutschland darüber hinaus beim Aufbau der Polizei und in der technischen Zusammenarbeit unterstützen.

Kohl und Bohl machten diese Ankündigungen gestern mittag nach einer Ministerbesprechung im Kanzleramt, an der neben Bohl Innenminister Rudolf Seiters, Verteidigungsminister Volker Rühe (beide CDU) und Staatssekretäre von Außen- und Justizministerium teilgenommen hatten. Das Bundeskabinett wollte am Abend über die „Vorschläge“, so Kohl, entscheiden. Wenn Deutschland nicht „international völlig unglaubwürdig“ werden wolle, müsse es jetzt „Verantwortung“ übernehmen, erklärte er.

Kohl bot der SPD-Opposition unmittelbar zu Beginn des nächsten Jahres Gespräche an, um eine „grundsätzliche Klärung“ der Grundlagen von Bundeswehreinsätzen zu erzielen. Diese Sache sei „einfach überreif zur Entscheidung“, meinte der Kanzler. Die Frage, ob er zu diesem Zweck eine Grundgesetzänderung befürworte, beantwortete Kohl nicht.

Man müsse daneben auch das weitere Vorgehen in Ex-Jugoslawien erörtern. Die Kriegsverbrecher, so Kohl, müßten „persönlich zur Verantwortung gezogen werden“. Deutsche Bodentruppen dürften dort aus historischen Gründen nicht eingesetzt werden. Eine Beteiligung der Luftwaffe bei der Durchsetzung des Flugverbots über Bosnien schloß Kohl hingegen nicht ausdrücklich aus. Deutschland sei auch hier „aus dem Bereich des Theoretischen herausgekommen“.

Die SPD, deren Parteiführung Kohl gestern früh über seine Pläne informiert hatte, drohte, vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen. SPD-Chef Björn Engholm sprach von einer „Provokation des Parlaments“. Es sei auch gegenüber den Familien der betroffenen Soldaten unverantwortlich, Bundeswehrsoldaten ohne rechtliche Grundlage zu einem solchen Einsatz zu schicken. Die Gespräche über eine mögliche Grundgesetzänderung seien damit „de facto ausgehebelt“.

Die Grünen geißelten Kohls Offensive als „Putschversuch gegen die verfassungspolitische Ordnung der Bundesrepublik“. Hans-Martin Tillack

Seiten 2 und 10

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen