: „Filmstadt Berlin“
■ Auf den Spuren von Lubitsch, Wilder und Wenders. Eine Stadtrundfahrt zwischen Alexanderplatz und Ufa-Gelände
Ein neblig-trüber, kalter Dezembersonntag, der Berlin nicht gerade von der charmantesten Seite zeigt. Im warmen Reisebus des Kultur-Kontors, der vor dem Deutschen Historischen Museum zur Tour „Filmstadt Berlin“ startet, laufen Videos von alten und neuen Filmen. Drehort: Berlin. Der begleitende Reiseführer Siegfried Schlibs erzählt Geschichte und Geschichten zu den Plätzen und den Filmen, die sie berühmt machten. Mit einem Ausschnitt von „Berlin–Alexanderplatz“ in der Verfilmung von Phil Jutzi läßt sich die Fahrt um den gräulichen hochhausverschandelten Platz gut ertragen. Die Gegenwart wird durch die filmischen Einblendungen verfremdet, und durch den Bezug zur Geschichte bzw. Filmgeschichte vermischen sich vergangene Bilder und die prosaische Gegenwart. Der Platz bekommt Gestalt, historische Identität. Das alltägliche Bild der Stadt — heute mit Grauschleier — wird unterhaltsam mit vergangenen Bildern unterlegt.
Halt am Nordufer. Ein Ausschnitt aus Bernhard Wickis „Spinnennetz“ zum Matrosenaufstand von 1918, der hier gedreht wurde, versetzt den Besucher bei der Anfahrt in die zwanziger Jahre, als diese unter Denkmalschutz stehende Hafenanlage erbaut wurde. In der heute öden, verlassenen Hafengegend wird eine andere Zeit lebendig.
Neben den Drehorten bekannter Filme wird auch die Geschichte Berliner Kinos in die Stadtrundfahrt einbezogen. Fahrt durch den Stadtbezirk Wedding. Kinos, die noch nicht der „Aldi-Krankheit“ zum Opfer fielen, laufen in den ehemaligen Außenbezirken zumeist als Off-Kinos. Im Sputnik, dem ehemaligen Grenzkino im Norden der Stadt, traten die Alliierten in den fünfziger Jahren mit einem pädagogischen Konzept auf: Leute mit Ostausweis erhielten bevorzugt Einlaß im Sinne einer „Erziehung in Sachen Kapitalismus“. Auch das ist Filmgeschichte.
Am Flughafen Tempelhof läßt Billy Wilder grüßen. Der Cola-Manager aus Billy Wilders „Eins, zwei, drei“ verläßt von dort den deutschen Strammsteh-Staat. Nostalgie bei der Gangsterjagd in „Die Spur führt nach Berlin“ von Franz Cap. Am Großen Stern, wo sich der Bus heute dank Weihnachtsmarkt und Ausflugsverkehr nur stockend weiterschleppt, brettert über Video der Polizei-Käfer hinter dem Gangster-Dkw fast hindernisfrei durch die leeren, breiten Straßen. Vor dem zerbombten Reichstag endet die Autojagd. Dort geht die Verfolgung über die Ruinen des ehemaligen und vielleicht neuen Repräsentantenhauses des deutschen Volkes weiter.
Oder Schönhauser Allee 183. Hier wuchs Ernst Lubitsch auf. Während sein Film „Madame Dubarry“ auf dem Bildschirm flimmert – der Film, der Lubitsch in den USA berühmt machte –, zuckelt der Bus an Lubitschs Geburtshaus vorbei. Auch die Geburtsstätte Marlene Dietrichs in Schöneberg bleibt nicht unerwähnt. Sie erfreut den Filmtouri in „ A Foreign Affair“ von Billy Wilder als geschäftstüchtige laizive Nazise.
Eine Fahrt durch Berlins Filmgeschichte und Geschichte. Im Jahr 1895 zeigten die Brüder Skladanowsky im „Wintergarten“ in der Clara-Zetkin-Straße, der nicht mehr steht und nur symbolisch etwas mit dem neuen Varieté „Wintergarten“ in der Potsdamer Straße zu tun hat, ihren ersten Filmstreifen als Varieté-Vergnügen. Schon bald entwickelte sich in Konkurrenz zu den Franzosen eine Filmindustrie. An der Chausseestraße, in Weißensee und in Tempelhof entstanden Gläserne Ateliers, die heute zum Teil noch erhalten sind. Zwar hat München Berlin den Rang als die deutsche Filmstadt abgelaufen, aber auch heute existiert eine Filmindustrie in Berlin: 22 Filmarchive, 7 Ateliers für Film, 80 Aufnahmeleiter, 13 Casting-Studios und beispielsweise die Filmkopierwerke Geier in der Neuköllner Wildenbruchstraße.
Nach vierstündiger Fahrt mit mehren Stopps, Pause im Restaurant des ehemaligen Hotel Esplanade. Dort, wo Wim Wenders im „Himmel über Berlin“ den irdisch gewordenen Engel leibhaftig seiner Liebe zuführt, darf der nach ausgiebiger Filmlehrfahrt mit Eindrücken von Drehorten und Filmausschnitten gesättigte Besucher auch andere Sinne befriedigen. Doch Patina hat nicht nur das Interieur dieses Grandhotels der zwanziger Jahre angesetzt, auch der gastronomische Betrieb ist noch nicht völlig aus dem Dornröschenschlaf erwacht. Die Entspannungspause wird zur Anspannung um hungrig erwarteten Kuchen und Kaffee. In stilvoller Umgebung, immerhin.
Insgesamt sechs Stunden dauert die Fahrt durch Berlin und seine Filmgeschichten. Sicherlich lange für eine Stadtrundfahrt. Doch gerade dadurch, daß sich der Veranstalter Zeit nimmt, läßt er sich und uns Kulturtouristen aufs Thema ein. Ein wohltuender Gegensatz zu sonstigen Ex-und-hopp-Veranstaltungen. Vielleicht sollte der Film- und Berlininteressierte ein, zwei Stullen ins Handgepäck packen, um diese kompetente und interessante Führung des Kultur-Kontors ungestört von banalen Bedürfnissen genießen zu können. Denn allemal empfehlenswert ist dieser Stadtblick mit Filmen und Geschichte, die auch eine Geschichte zwischen Ost und West, zwischen Zoopalast und Kosmos ist. Edith Kresta
Neben der „Filmstadt Berlin“ bietet der Veranstalter, ergänzend zur Ausstellung im Deutschen Historischen Museum: „75 Jahre Ufa“, auch eine Fahrt zum Thema „Filmstadt Potsdam-Babelsberg“ an. Die Fahrten finden bis einschließlich März jeweils sonntags (Berlin) und samstags (Babelsberg) statt. Genaue Termine: Kultur-Kontor, Savignyplatz 9–10, 1000 Berlin 12.
Tel.: 030/310888, Fax: /3121000,
Kosten: 49 DM
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