: EG-Recht? Prost Mahlzeit!
Auf dem Lebensmittelmarkt gilt schon lange EG-Recht/ Langfristig gelangen aber 65 neue Zusatzstoffe ins Essen/ taz-Binnenmarktserie, Teil 6 ■ Von Annette Jensen
Berlin (taz) – Der Fisch stinkt nicht. Also ist er frisch, denkt der Hausmann. Tatsächlich aber hat das Tier schon vor einer Weile sein Leben gelassen; radioaktive Strahlen verhinderten lediglich seinen Verwesungsprozeß. Nach deutschem Recht dürfte der Fisch nicht auf dem Tisch landen. Tatsächlich gibt es aber immer mehr importierte Lebensmittel, die in anderen EG-Ländern durch die Strahlenkammern geschickt wurden. Und solange die EG-Kommission keine Richtlinie ausgearbeitet hat, gilt in der EG schon heute das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung. Bei gesundheitsgefährlich eingeschätzten Produkten kann ein Land zwar den Import untersagen – es riskiert aber einen Prozeß vor dem europäischen Gerichtshof. Und die sind schon in den vergangenen Jahren meist zugunsten der Kläger entschieden worden, weil die Richter die Verbraucherschutzargumente meist als Versuch werteten, den heimischen Markt von ausländischen Konkurrenten freizuhalten.
„Am 1. Januar wird es keine Schwemme von gefährlichen Lebensmitteln auf dem deutschen Markt geben“, beruhigt Dirk Klasen von der AG Verbraucherverbände. Unmittelbar werde sich gar nichts ändern. Hiltrud Breyer, Europaabgeordnete der Grünen, aber sieht langfristig Gefahren: 65 neue Zusatzstoffe sollen zugelassen werden – darunter auch die in Deutschland seit Jahren verbotene Propionsäure als Konservierungsstoff. Ratten, die mit dem Stoff gefüttert wurden, hatten Magenkrebs bekommen. Nicht nur britisches Brot, dem Propionsäure zugesetzt ist, ist damit legal; auch deutsche Hersteller können den Stoff wieder verwenden. Und auch hier bisher verbotene Pestizide wie Atzin kommen durch die EG-Tür wieder herein.
Inwieweit beispielsweise bestrahlte Lebensmittel gekennzeichnet werden müssen, wird noch verhandelt. Als für die Verbraucherin fauler Kompromiß deutet sich an, daß zum Beispiel auf einer Packung Pfeffer die Behandlung angegeben werden muß, auf einer mit Salami hingegen die Bestrahlung der Zutat Pfeffer nicht erkennbar wird. Auch die Lebensmittelkontrolleure zwischen Ägäis und dem schottischen Hochland sollen künftig die gleiche Arbeitsplatzbeschreibung haben. Sie werden nicht mehr, wie bisher hierzulande üblich, Stichproben untersuchen, sondern lediglich bei einem konkreten Verdacht prüfen. Und sie sind nur für die im eigenen Land hergestellten Produkte zuständig. „Das Niveau wird auf jeden Fall absinken“, fürchtet Hiltrud Breyer.
Aber nicht nur Sorge um die Gsundheit der VerbraucherInnen, sondern auch handfester Protektionismus haben die Verhandlungen in Brüssel in den letzten Jahren bestimmt. Mit harten Bandagen kämpfte zum Beispiel die deutsche Bierindustrie. Ihr Hauptwerbegag, das deutsche Reinheitsgebot, wurde immerhin durch eine Fußnote gewürdigt: Wer in deutschen Kneipen ein deutsches Bier bestellt, soll sich in der Sicherheit wiegen dürfen, daß es nur aus Malz, Hopfen, Hefe und Wasser hergestellt wurde. Aber die deutschen Brauer mußten hinnehmen, daß auch ausländische Anbieter den Durst der Deutschen löschen und ihr Getränk als Bier bezeichnen dürfen. Der Liebhaber deutscher Braukunst in Frankreich kann hingegen nicht mehr sicher sein, daß aus Deutschland eingeführtes Bier auch tatsächlich dem Reinheitsgebot entspricht. Und auch „frisch aus Deutschland“ ist keine Garantie dafür, daß die Ware nicht bestrahlt ist.
Auch beim Thema „Novel- food“ hat die Industrielobby in Brüssel sehr erfolgreich interveniert. Im Juli legte die Kommission einen Entwurf vor, der lediglich für das gentechnisch manipulierte Produkt eine Zulassung vorsieht. Gentechnische Herstellungsmethoden oder auch manipulierte Zutaten sollen hingegen von der Verordnung nicht berührt werden. Der Hersteller entscheidet nicht nur selbst, ob sein Produkt ein „neuartiges Lebensmittel“ darstellt. Er sucht auch selbst einen „qualifizierten Sachverständigen“, der ihm die gesundheitliche Unbedenklichkeit bestätigt. Eine Kennzeichnungspflicht ist nur in Ausnahmefällen vorgesehen. Beim Bier könnte somit beispielsweise ein deutscher Bierbrauer auch weiterhin behaupten, er stelle sein Bier nach dem Reinheitsgebot von 1516 her, wenn er zur Beschleunigung des Gärungsprozesses gentechnisch manipulierte Hefe zugibt. Derartige Absichten aber weisen die deutschen Bierbrauer selbstverständlich weit von sich.
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