Naturschutz vs. Tourismus: Woher der Wind weht

In Husum wünschen sich die BürgerInnen mehr Mitbestimmung. taz.meinland lud zur Diskussion in den Speicher Husum ein.

Es gibt in Husum auch Menschen. Und die wollen mitbestimmen. Bild: David Joram

von ANN-KATHRIN LIEDTKE

Es ist vielleicht ein bisschen zugig heute – aber der Wind weht immer in Husum. An der nördlichsten Spitze des Deichs läuft der Rasen beinahe nahtlos ins Meer über – ganz ohne Sandstrand – ein Hotel mit Campingplatz, weites Land, ganz allein auf weiter Flur, hier, am Deichabschnitt Dockkoog, ein Erholungsgebiet für Anwohner und Feriengäste. 

Dass dieser Zipfel Land in Husum für Diskussionen, ja, teils für Streit sorgte, sieht man ihm auf den ersten Blick nicht an. Und doch war er für taz.meinland einer der entscheidenden Auslöser, um nach Husum gefahren.

Spaltet der Deich Husum?

Rund 90 Menschen sind gekommen, um im Speicher Husum mit der taz zu diskutieren: Was hat es auf sich mit dem Dockkoog? Spaltet er die Gemeinde tatsächlich? Was bewegt die Menschen hier im Norden? Und was sind ihre Wünsche? Barbara Oertel, Auslandsredakteurin bei der taz, und Malaika Rivuzumwami, Redakteurin im Projekt taz.meinland, führten Montagabend durch die Veranstaltung und hakten kritisch nach.

Geladen waren Irene Fröhlich, die die taz in einem Leserinnenbrief nach Husum einlud, Jannes Fröhlich, vom WWF (Wattenmeerbüro), Patrick Breyer (Piratenpartei), Dr. Barbara Ganter (Bündnis 90/Die Grünen) und Uwe Schmitz, parteiloser Bürgermeister von Husum.

Gleich zu Beginn der Veranstaltung sind sich alle zunächst recht einig: der Deich spalte Husum nicht. Es gebe Debatten, ja, aber die Differenzen seien nicht unüberwindbar und auch der Planungsprozess habe damals zunächst gut begonnen. Später habe die Politik aber die Bürgerinnen und Bürger Husums aus den Augen verloren, nicht mehr mit eingebunden. „Es wäre wichtig gewesen diese Diskussion um den Deich zu Ende zu führen“, sagt Schmitz. „Wir hätten noch mehr Zeit gebraucht.“

Lösung nicht in Sicht

Doch die Zeit drängt. Der immer weiter steigende Meeresspiegel erfordert dringend eine Verstärkung und Erhöhung des Deichs. An dem Umbau hängt viel: Umweltschutz, Erhalt der Kultur und des Wattenmeers in Husum, die Tourismusbranche. Eine Projektgruppe erarbeitete und bewertete vier mögliche Lösungsansätze, drei davon stehen bis heute zur Debatte. Eine Lösung ist jedoch noch nicht in Sicht. Denn die Husumer sowie der WWF stimmten mit dem Lösungsvorschlag der SPD und CDU nicht überein. Sie sprechen von verpassten Chancen, von verfrühter Aufgabe von Ideen.

„Man guckte sich zwar an, was die Bürger zu den Vorschlägen sagen, aber letztendlich hat sich die Politik doch anders entschieden“, sagt Patrick Breyer. „Es geht um tatsächliche Mitbestimmung, nicht allein ein Mitwissen.“ Breyer spricht damit aus, was das eigentliche Problem in Husum zu sein scheint: fehlende Möglichkeit der Partizipation an Entscheidungsprozessen. Sie wollen mitreden, wenn es um ihre Heimat geht. Peter Knöfler meint unterstützend: „Husum hat dieses eine spezielle Problem: die Arroganz der Macht.“

„Durch diese vorgetäuschte Wahlbeteiligung entsteht Politikverdrossenheit“, sagt eine Frau aus dem Publikum entschieden. Abzustimmen und dann festzustellen, dass die Entscheidung eigentlich schon vorher gefallen ist, führe zu Frust und zerstörtem Vertrauen.

Angst vor der Flut

Während der Diskussion stellt sich heraus, dass die Husumer nicht nur über den Dockkoog sprechen wollen. „Die Sturmflut 1962 habe ich miterlebt“, erzählt Manfred Niederbremer im Publikum während der Veranstaltung. „Ich, als gebürtiger Ostwestfale, habe damals einen riesigen Schreck bekommen. Mit so etwas hat man ja auf dem platten Land weniger zu tun. Für einen Moment dachte ich: ich ziehe gleich wieder weg.“

Niederbremer lacht. Wegziehen wollte er dann doch nicht. Zu sehr habe sich der 78-Jährige in der Gegend wohlgefühlt. „Aber vom Deichbau verstehe ich trotzdem nichts. Es lässt sich hier gut leben. Das ist doch das, was zählt.“

Die Husumer sind stolz auf ihre kleine Stadt mit den niedrigen bunten Häusern, den kleinen Cafés – und eben der weiten Landschaft, dem Watt. Für die meisten gibt es bereits einen passenden Lösungsvorschlag. Er nennt sich „Husumer Hallig“. „Für mich wäre das eine Möglichkeit, mit dem Wasser in Husum zu leben“, sagt Jannes Fröhlich. Und vor allem könne der Erhalt der Natur gewährleistet werden.

„Ein Hotelneubau würde uns langfristig nichts nützen“, meint Irene Fröhlich. „Wir brauchen einen nachhaltigen Tourismus.“ Die Husumer hängen an ihrer Landschaft und dem gar nicht so grauen Städtchen am Meer - auch wenn Theodor Storm einmal das Gegenteilige behaupten haben soll.