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Plastiktüten sind ihr einziges Gepäck

Seit April 1991 organisieren FranziskanerInnen in der Pankower Wollankstraße eine Suppenküche/ Täglich verpflegen sie um die dreihundert Obdach- und Arbeitslose/ Gottesfürchtig geht es nicht zu  ■ Von Ralf Knüfer

„Heb dir keinen Bruch, Eddi!“ ruft Rolf. Eddi balanciert einen Karton auf der Schulter zwischen den spartanischen Holzbänken hindurch. Als Eddi abgeladen hat, sieht Rolf wieder von seinem Nudelgulasch auf: „Noch Brot da, Eddi?“ – „Nee, das brauchen wir für morgen.“ – „Ein Päckchen Schwarzbrot kannste mir doch geben“, bittet Rolf. „Muß ja keiner merken“, fügt er hinzu. Aber Eddi macht keine krummen Sachen, sonst bekäme er Ärger. Rolf nimmt es ihm nicht übel.

Seit dem Sommer 1991 kommt der 30jährige Rolf fast täglich in die Pankower Wollankstraße zur Suppenküche der Franziskaner. Den Rest des Tages verbringt er mit Schlafen und Streifzügen durch die Stadt, weil ihm sonst „die Decke auf den Kopf fällt“. Rolf ist einer der wenigen in der Missionsstelle der Franziskaner, der noch eine feste Bleibe hat. Die Miete zahlt das Sozialamt, zusätzlich erhält er 110 Mark die Woche. Das ist der seidene Faden des sozialen Netzes, an dem er baumelt. Seit zwei Jahren ist Rolf arbeitslos. Der gelernte Maurer macht keinen Hehl aus seinem Problem. „Ich bin dem Alkohol verfallen“, sagt er. Während seiner Lehrzeit 1980 hat er mit dem Trinken angefangen. Beim Gesundheitsamt läuft sein Therapieantrag.

Eddi ist inzwischen eine Bank weiter marschiert. Er rüttelt einen Mann wach, der mit dem Kopf auf dem Tisch schläft. Der Mann mit den langen Haaren und dem verfilzten Bart kommt nur schwer zu sich. Eddis Stimme dröhnt durch den Raum: „Seit Tagen kommst du jetzt besoffen hierher. Mann, das kann doch nicht die Norm sein.“ Der Mann behauptet, er habe gar nicht getrunken, er sei nur müde. Eddi packt ihn am Kragen und begleitet ihn hinaus. Schwester Monika, die die Suppenküche leitet, weiß um das Problem des Alkoholismus. Seit 15 Jahren trägt sie das braune Ordenskleid. Vor ihrer Brust baumelt ein schlichtes Holzkreuz, am Handgelenk hat sie eine Quarzuhr. Sie weiß, daß sie hier nur die schlimmste Not, den Hunger, lindern kann. In Grenzen ist sie bereit, den Alkohol zu tolerieren, Volltrunkene müsse man aber aufgrund der schlechten Erfahrungen an die frische Luft setzen: „Das bringt den Leuten nichts. Sie bringen nur die Gruppe durcheinander.“ Selbst in dieser Jahreszeit hat sie, wie bei den Franziskanern üblich, Sandalen an den Füßen, lediglich den Luxus von Wollsocken leistet sie sich. Im Vorbeigehen erkundigt sich ein Mann, wie es der Schwester gehe. „Sie werden immer hübscher“, sagt der Charmeur. Eddi ist wieder an seinem eigentlichen Arbeitsplatz im Hof angekommen. Er steht in einer umfunktionierten Garage neben einem riesigen metallenen Kochtopf. In der ehemaligen Garageneinfahrt reihen sich Frauen und Männer in die lange Schlange davor ein. Es nieselt, aber das kann hier keinen mehr erschüttern. Lediglich die Kälte macht ihnen in ihrer improvisierten Kleidung zu schaffen – einige treten beständig vom linken auf den rechten Fuß und wieder zurück. Plastiktüten sind ihr Gepäck, notdürftig gescheitelt ist ihr fettiges, ungeschnittenes Haar. Ein paar dickbäuchige Männer essen im Stehen. Ihre Gesichter tragen die Spuren von übermäßigem Alkoholkonsum. Einer verpackt eine Portion Nudelgulasch in einem Einmachglas. „Wegzehrung“, lacht er. Auch wenn Franz von Assisi, auf gelbe Leinwand gemalt, von dem Garagentor auf seine Zöglinge hinuntersieht, gottesfürchtig geht es nicht zu. In der Schlange läßt einer einen Furz fahren: „Kollege, der war jut!“ ruft er und bekommt keine Antwort. „Hier draußen darf man das ja“, entschuldigt er sich.

Der seidene Faden des sozialen Netzes ist bei einigen, die sich vor der Garage anstellen, längst gerissen. Sie bewegen sich in einem Teufelskreislauf: ohne Wohnung keine Arbeit, keine Arbeit ohne Wohnung. „Was soll'n der Käse“, meint der 21jährige Jan dazu lakonisch. Seit 1990 ist er arbeitslos. Aus seinem Heimatort Waren- Müritz in Mecklenburg-Vorpommern ist er fortgegangen, weil er dort keine Arbeit finden konnte. Zurück will er nicht, seine Eltern sind auch arbeitslos. Er würde ihnen nur zur Last fallen, sagt er. Seine Eltern wissen, daß er inzwischen auf der Straße lebt. Auf die dumme Frage, ob sie zu ihm Kontakt halten, antwortet er: „Na ja, schreiben können sie mir ja nicht.“

Bei allem Humor, Jan gehört zu denen, die kein Dach mehr über dem Kopf haben und deren Boden unter den Füßen ins Wanken geraten ist. Jan hat sich ebenso wie der gelernte Schlosser Mario („Dann werde ich zum Verbrecher und geh' aufs Ganze“) eine simple Strategie überlegt, wie er über den Winter kommen will: Der Einfall nennt sich Knast. Jan will einen „Bruch machen und am besten warten, bis du eingelocht wirst“.

Für Schwester Monika ist der Galgenhumor nur Maske. Sie kennt sie auch in anderer Verfassung. Ein „Stück Zuhause“ will sie den Menschen geben: „Die Obdachlosigkeit ist nur Zeichen der inneren Heimatlosigkeit“, meint sie. Berlin hält sie für das „Zentrum der Not“, und es würden immer mehr, die kämen. Als die „Suppenküche“ im April 1991 eröffnete, seien es kaum mehr als 20 Leute gewesen, inzwischen sind es Tag für Tag um die 300 Menschen, die verpflegt werden.

Auch Eddi war einer von ihnen. Im Juni 1991 brachten „Kumpels“ den damals Arbeitslosen zum ersten Mal mit. Schwester Monika hat er seine Hilfe angeboten. Über das Kartoffelschälen rutschte er dann wohl mit viel Glück auf eine ABM-Stelle als Hausmeister. Der 34jährige schläft in der Wollankstraße auf einem Sofa, seine Wohnung stellt er Obdachlosen zur Verfügung. Stinkwütend wird er, wenn er daran denkt, wie gering die Hilfsbereitschaft bei den Behörden ist. „Wenn man weiß, wie die uns da manchmal behandeln, dann ist das kein Wunder, daß einige resignieren.“ Deswegen versucht er, sie jetzt „in die Ämter zu schubsen“. Kein Verständnis hat er für einige von denen, die er von der Straße geholt und in seiner Wohnung untergebracht hat: „Grundlos hauen sie einfach ab und schieben wieder Platte.“

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