: Friedensprozeß ade?
■ Die UNO verurteilte Israel wegen der Deportation von 415 Palästinensern. In Israel keimt zwar die Kritik, die Ausgesetzten jedoch haben noch keine Zuflucht gefunden
Friedensprozeß ade?
Einmütig hat die israelische Ministerunde gestern den Deportationsbeschluß bestätigt. Obgleich die Medien in den vergangenen Tagen nicht müde wurden, die Deportationen als „geglückt und völlig gerechtfertigt“ hinzustellen, kommen Kritik und Zweifel auf. Genährt werden sie von der harschen Kritik der Weltöffentlichkeit und palästinensischen Reaktionen.
Trotz Ausgangssperre und der totalen Schließung des Gazastreifens – nun mehr als eine Woche in Kraft – kam es zu Massendemonstrationen im südlichen Gazastreifen, bei denen sechs Palästinenser von israelischen Soldaten erschossen und viele verwundet wurden. Alles weist darauf hin, daß die Massendeportation nicht wie von amtlichen israelischen Stellen vorausgesagt zu einer Polarisation zwischen PLO und Hamas führt; im Gegenteil, die Solidarisierung der beiden Gruppen kam sowohl in der PLO-Einladung an Hamas zur Teilnahme an gemeinsamen Beratungen in Tunis als auch in verschiedenen gemeinsamen Protestkundgebungen in den besetzten Gebieten zum Ausdruck. Entgegen aller israelischen Erwartungen und Voraussagen ist im Zuge der Deportation das Prestige der Hamas unter allen Teilen der palästinensischen Bevölkerung erheblich gestiegen.
Aus den bisher bekannt gewordenen Namen geht hervor, daß die zur Hälfte aus Gaza und zur Hälfte aus dem Westufer stammenden Deportierten zur ideologischen und politischen Führung von Hamas gehören und daß niemand dabei ist, der verurteilt wurde oder gegen den ein Gerichtsverfahren läuft. Unter den aus Gaza deportierten befindet sich zum Beispiel Dr.Mahmud Haled az-Zahr (47), Arzt und Leiter der Schule für KrankenpflegerInnen an der islamischen Universität in Gaza und Dr.Abd el-Aziz Hafez Rantisi (44) aus Khan Junis, Lehrer an der Universität. Beide sind Hamas Gründungsmitglieder und ideologische Führer. Beide waren in früheren Jahren in Administrativhaft, weil man sie der Hamas-Mitgliedschaft verdächtigte.
Zwei andere, von denen bekannt ist, daß sie nach Libanon gebracht wurden, sind Nimr Hamdan und Attiah Mahgaz. Beide gehörten zu den elf Deportationskandidaten der Likudregierung; nach dem Regierungswechsel hat Ministerpräsisent Rabin den Deportationsbefehl im August aufgehoben.
Eine weitere führende Persönlichkeit unter den Deportierten ist Dr.Salem Salame, stellvertretender Präsident der islamischen Universität in Gaza. Überhaupt befinden sich zahlreiche Lehrer dieser Universität auf den Listen der Deportierten.
Unter denen, die aus Nablus (Westufer) stammen, befindet sich Scheich Nabil Bishtawi, der beschuldigt wurde, der geistige Führer der Hamas-Bewegung am Jordanwestufer zu sein. Verschleppt wurden weiter Scheich Hamed el- Bitawi, Richter des (islamischen) Scharia-Gerichts in Tulkerem und einer der bekanntesten Prediger der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem, und der Imam Scheich Mahel Cherez, ein berühmter Prediger der Hauptmoschee der Stadt Nablus.
Auf der Liste befinden sich auch die Namen des Jamal Manzur aus dem Flüchtlingslager Balata, Listenführer der islamischen Fraktion bei den Studentenwahlen der An-Najah-Universität in Nablus; des Mahmud Fuad Ziad, Vorstand des Waqf in der Stadt Jenin, der auch einer der geistigen Führer des Hamas am Westufer sein soll; und des Scheichs Awad Mustafa Awari aus Kalkilia, der an der Spitze einiger islamischen sozialer Hilfswerke steht, die von der Hamas geschaffen wurden. Nach Aussagen gut informierter palästinensischer Kreise handelt es sich bei den Deportierten fast ausschließlich um ideologische Führer, während die Aktivisten der islamischen Bewegung und ihre Organisatoren so gut wie nicht betroffen sind.
In Israel wird jetzt bereits infrage gestellt, ob das Hauptziel der Aktion – die Einigung des Volkes hinter der Regierung – erreicht werden konnte. Beim Fußvolk des Meretz-Blocks in der Regierungskoalition ist die ausgebrochene Revolte gegen die Führung keineswegs zu Ende. Und auch in der Arbeitspartei mehren sich jetzt die kritischen Stimmen gegen die Deportation.
Gestern mußte das oberste Gericht erneut zusammentreten, um über die Anträge der Anwälte Avigdor Feldman und Andre Rosenthal sowie des Knesseth-Abgeordneten Abd el-Wahab Darhawsche zu beraten, die fordern, die Deportierten sofort wieder in ihre Wohnorte zu bringen. Diese Forderung wird auch damit begründet, daß sich die Deportierten in dem libanesischen Niemandsland, in das sie gebracht wurden, in Lebensgefahr befinden. Die Staatsanwaltschaft lehnte diesen Antrag als unbegründet ab.
Zwei rechte Oppositionsparteien, Zomet und die Nationalreligiöse Partei (NRP), zeigen reges Interesse, der Rabinregierung beizutreten. Es wird berichtet, daß die NRP und Vetreter des Ministerpräsidums neue Siedlungsprojekte, die auf den Alon-Plan Bezug nehmen, ausgearbeitet haben und daß dies eine der Grundlagen für den Beitritt rechter Oppositionsparteien in die Regierung sein soll. Meretz warnt, falls sowohl Zomet als auch NRP der Regierung beitreten, werden die links-liberalen Partner der Arbeitspartei die Rabin-Regierung verlassen. Amos Wollin, Jerusalem
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen