: Das Erweckungserlebnis
■ Eine Stadt sagt JEIN und begeht per Lichterkette das Ende des guten alten Denkens
Auf einen Streich haben diese Lichterketten Schluß gemacht mit gleich drei Kardinaltugenden, die noch alle bisherigen Zivilisationen, ehe sie selber verrotteten, in hohen Ehren gehalten hatten: mit denen des Denkens, des offenen Streitens und schließlich des Ausrufens zweckmäßiger Parolen. Das wird uns allen noch leid tun.
Zehntausende aller und restlos aller Parteien sind also eingetaucht in ihr selbstentfackeltes Lichtermeer und restlos darin verschwunden und haben weiter nichts zu sagen gehabt, geschweige zu wollen. Das Unpolitische, bislang als Mangel bedauert oder mindestens verhohlen, kommt nunmehr heraus in die Nacht zu sich selbst und feiert im Hin- und Herwogen seine machtvolle Erscheinung. Eine Teilnehmerin, vom Weser-Kurier befragt, gab kurzum die Antwort: „Wenn der Anlaß nicht so traurig wäre, könnte man begeistert sein.“
Nun, es wird sich für den hinderlichen Anlaß eine Lösung finden; und es steht zu befürchten, daß die Exekutoren beim Vollzug dieser Lösung keineswegs gestört werden, denn die neuen Demonstrationen kennen keine Gegner mehr, denen in der Sache widersprochen werden müßte, sie kennen nur noch „diese schreckliche Gewalt“ und im Gegenzug die Sehnsucht nach häuslichem Frieden, wie er sich so traulich verheißt im Flackern des Kerzenlichts.
Wer noch denken mag, spricht gern begütigend von „einer Aktionsform unter vielen andern“; es setzt aber neuerdings die Aussicht auf solch ein Lichterfest zwanzig mal mehr Leute in Bewegung als alle andern Aktionsformen zusammen. Wir erleben nicht weniger als den Anfang einer neuen Sorte von Unpolitik, massenhaft betrieben von Leuten, die neuen Gefallen verspüren an schwerstens wabernder, sprachferner Symbolik; die nichts daran finden können, wenn sie das politische Dunkel nur aufs Mystischste illuminieren und dabei in sonderbarer Verstockung kein Wort herausbringen oder auf ein Transparent malen, an dem man sie erkennen könnte; ja die sich als Gelegenheit für ihr Vorhaben, nichts zu sagen, ausgerechnet die Anonymität der nächtlichen Lichterkette aussuchen und eine Stunde lang stumm verharren auf dem arithmetischen Mittel zwischen Kandelabergemütlichkeit und Brandanschlag. Ja, es handelt sich, was den Abstand von den Tätern betrifft, um ein Entgegenkommen in der Form, welches unsereinem die heikelsten Rätsel aufgibt.
Keine Rede aber auch und gerade von den Ausländern, denen all der gute Wille vorgeblich doch gelten will. Von wegen. Er würde ja erst gut, indem er sich betätigte und dem Objekt seiner „Freundschaft“, dem Ausländer und gar dem Asylanten, zu seinem Recht verhülfe oder im allergeringsten Falle zu Weihnachtsgebäck. Dieser Wille aber meint es nur gut mit sich selber. Zu diesem Zwecke scheut er sich nicht, mittels der nie so ganz ungefährlichen Feuerromanze höhere Mächte zu beschwören, als sie bisher in der Politik üblich waren. Und was will er von ihnen? Er barmt um Absolution von den Qualen des schlechten Gewissens.
In der Vorzeit sprach man von einer Demon
hierhin bitte die Nahaufnahme
von den Menschen mit
Lichtern in der Hand
und oben die Totale
von fern
(beide lassen sich gut
beschneiden...)
stration, wenn sich mehr oder weniger Leutchen den Strapazen des strategischen Nachgrübelns, des Aufrufeschreibens und sodann des Transparenteschleppens und Skandierens unterzogen, um anzudrohen, es könnte der bekundete Wille durchaus noch nachdrücklicher vertreten werden. Wo aber sollte dieses unser neuartiges Lichterfest noch hindeuten? Zu welchen ferneren Aktionen könnte es ein „Einstieg“ sein, wie es oft heißt?
Die Neigung zum Abhalten von Messen ist in der Regel nicht der Anfang einer Bewußtwerdung, sondern ihr Ende. Wie leicht erschöpft man sich im nächtlichen Erweckungserlebnis der Gemeinsamkeit, welches sich von dem der Täter und Brandstifter im übrigen als solches kaum deutlicher unterscheiden läßt als das gute Feuer vom schlechten.
Wofern sich das Denken noch nicht gänzlich einstellen läßt, bleibt es nunmehr den gelernten Sachverständigen von den Medien überlassen, die im nachhinein interpretieren dürfen, was sie vorher in fast allen Fällen selber angeleiert haben, im Vertrauen auf das ihnen eigene Gespür für Szene, Ausleuchtung und Komparserie. Und siehe, allein in Bremen ordneten sich 80.000 zum Ornament eines vollkommen ungerichteten NEIN und beschworen das Gegenteil des Denkens, die Stimmung, als neue Macht.
Aber die Leute müssen doch ihre Gefühle ausdrücken können, wird gerne gesagt. Ich hab von Gefühlen nichts mitgekriegt. Gefühle, wie ich sie bisher kannte, streben wie von selber danach, ihre Ehrlichkeit zu erweisen, indem sie sich in Taten umsetzen, und seien es die geringsten. Sie verdeutlichen sich, oder es sind keine. Im massenhaften Anzünden von Kerzen hingegen findet eine diffuse und wankelmütige Stimmung ihren Exzeß, eine Stimmung, die sich speist aus dem zwielichtigen Milieu zwischen Teilnahmslosigkeit und dräuendem Unbehagen und rein deshalb keine Worte findet.
In diesem donnernden Schweigen aber endet zugleich die alte Übereinkunft der Zivilisation, daß die Teilnehmer eines Konflikts ihre Position erklären und nach Kräften die Erklärung weiter ausführen und am Widerstand der Gegenseite verfeinern; die Kraft, die sich nunmehr auf die Bühne drängt (und damit ins offene Messer der zuständigen „Feuilletonkritik“, nicht wahr!), hat mit Debattenregeln nix mehr im Sinn und eh schon keine Lust mehr auf den politischen Kram und sucht ihr Heil im raunend Symbolischen. Ich halte das für eine Drohung.
Was sich in den Lichterketten mit viel Geflacker ankündigt, ist die neue Einswerdung des Politischen mit dem Religiösen, ist die unberechenbare Fusion von Unbehagen, obergerechtem Büßertum und schweigendem Erlösungsschmachten. Das kann heiter werden. Damit sähe die wesentlichste Gewaltenteilung, zu der eine leidlich ausgenüchterte deutsche Gesellschaft nach all dem Faschismus schlußendlich dann doch noch durchgerungen wurde, die Gewaltenteilung nämlich zwischen Politik und Heilsbegehren, plötzlich schon wieder ganz alt aus. Manfred Dworschak
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