: Zugauskunft per Computer
■ Im Bahnhof Zoo gibt es jetzt das "elektronische Kursbuch" / Fahrgäste können am Computer Bahnverbindungen heraussuchen / Zwei Geräte für Leute unter 30
Berlin. Der 78jährige Rentner Otto Schild steht noch etwas verdattert vor einem der beiden neuen Bildschirme im Bahnhof Zoo. Er will nach Travemünde fahren und soll sich mit Hilfe des Computers die entsprechende Zugverbindung heraussuchen. Bei der gestrigen offiziellen Inbetriebnahme der beiden „elektronischen Kursbücher“ – wenige Meter von dem Büro der Fahrplanauskunft im Erdgeschoß entfernt – wird Schild von einer Menschentraube umringt. Hilfsbereite Herren jüngerer Jahrgänge geben immer wieder Tips, wie Schild die High-Tech bedienen muß. Doch trotz aller richtigen Eingaben hat der Travemünder Pech und erhält die gewünschte Fahrplanauskunft nicht: Seinen Heimatort gibt es nur an der schleswig-holsteinischen Ostseeküste – nicht aber im Computer am Bahnhof Zoo.
Zum Glück ist mit der offiziellen Inbetriebnahme die gewohnte Fahrplanauskunft nicht einfach geschlossen worden. Wie sonst auch sitzen hinter den vier Schaltern zwei rot-uniformierte Frauen und zwei blau-uniformierte Männer, die, wie seit Erfindung der Eisenbahn üblich, in dicken Büchern wälzen – und Travemünde finden. Noch ist „Kollege Mensch“ zuverlässiger, aber auch aus einem anderem Grunde vorläufig nicht ersetzbar. Denn die ältere Generation, die nur schwerfällig begreift, mit welchem Knopf sie an ihrer digitalen Armbanduhr die Zeit einstellen soll, hat vor der „graphischen Benutzeroberfläche“ des Computer-Kursbuchs ebenfalls kaum eine Chance.
Kein Wunder also, daß vor den beiden Auskunftsautomaten nur Leute unter 30 stehen bleiben. Diese Generation erlebte die Erfindung des Taschenrechners in der Schule und lernte das Rechnen am Computer statt, wie noch die Eltern, im Kopf.
Kristina Freimark, 23, findet es denn auch „eine bequeme Sache“, daß sie sich ihre Zugverbindung am Computer heraussuchen kann und sich nicht mehr in eine Schlange vor dem Schalter einreihen muß. Nach weniger als drei Minuten hält die Zehlendorfer Studentin einen Zettel in der Größe einer Tankquittung [Muß man zum Bahnfahren jetzt tanken? säzzer] in der Hand, den sie selbst ausdrucken ließ und dem sie entnehmen kann, wann ihr Zug wo losfährt und zu welcher Zeit er am Ziel ankommen wird.
Wirklich schneller wird es am Bahnhof Zoo aber auch mit den beiden Computer für Selbstbediener nicht gehen. Denn wer die Zugverbindung hat, dem fehlt noch immer die Fahrkarte. Und obwohl gestern trotz der Feiertage sich nur die übliche Menge Reisender vor den Schaltern drängelte, mußte zum Beispiel Michael Achterkamp aus Neukölln eine halbe Stunde für die Platzreservierung anstehen. Der 39jährige ist aber Schlimmeres gewohnt. Vor drei Wochen konnte er erst nach eineinhalb Stunden ein Ticket lösen.
Spürbar besser wird es wohl erst ab Mai kommenden Jahres werden, wenn das neue Reisezentrum am Zoo eröffnet wird. Dann stehen den Bahnkunden 19 neudeutsch sogenannte Counter zur Verfügung. Mit einer übersichtlichen Beschilderung soll verhindert werden, daß sich Kunden nicht falsch anstellen. Mit dem Stau vorm Schalter wird aber auch dann gerechnet: Die Bahn hat „bequeme Sitzmöglichkeiten“ angekündigt. Dirk Wildt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen