„Die Wahlen sind manipuliert worden“

■ Zoran Djindjić, Vizepräsident der „Demokratischen Partei“, die voraussichtlich zwischen 14 und 18 Prozent der Stimmen in Serbien erhält, fordert Neuwahlen

taz: Obgleich das Ergebnis noch nicht feststeht, scheinen in Serbien die Sozialisten und die Rechtsradikalen, also die Nationalisten, durchzukommen. In der Föderation liegt wohl das Oppositionsbündnis leicht vorn. Der nächste serbische Präsident muß sich vermutlich einer Stichwahl stellen.

Zoran Djindjić: Wie immer das offizielle Wahlergebnis aussieht, dürfen wir nicht vergessen, daß die Medien massiv auf seiten der bestehenden Machtkonstellation eingegriffen haben. Das war schlimmer als vor zwei Jahren. So wurde Milošević beispielsweise auf seiner Wahlreise in der Provinz mehrmals ausgepfiffen, dies jedoch zeigte weder das Fernsehen, noch brachte es der Hörfunk. Außerdem sind viele Stimmen auch hier in Belgrad gefälscht.

Wie kann man denn das nachweisen?

Es gibt 11.000 Wahlbezirke. Natürlich kann nicht überall manipuliert werden. Aber manche Wahlurnen, so einige Wahlhelfer, sind nicht ordnungsgemäß verschlossen worden. Leute, die noch bei den letzten Wahlen in den Listen eingetragen waren, fanden sich plötzlich von der Wahl ausgeschlossen. Es gab Tausende von Beschwerden dieser Art. Im Ganzen schätze ich das Ausmaß der Manipulation mit 5 bis 10 Prozent ein. Und damit ist sie hier in Serbien ausschlaggebend. Es sind viele Stimmen an Šešelj gegangen, der in Belgrad angeblich auf fast 20 Prozent gekommen ist. Das widerspricht allen vorhergehenden Umfragen, da hat er weniger bekommen.

Immerhin aber überraschend, wie gut das Depos-Bündnis mit über 30 Prozent abgeschnitten hat, und Ihre Partei, die Demokratische Partei, hat immerhin 14 bis 18 Prozent erhalten.

Aber insgesamt sind wir immer noch unter 50 Prozent in Serbien. Selbst ein Prozent über 50 Prozent gebe den Sozialisten die Chance weiterzuregieren.

Welche Konsequenzen ergeben sich denn aus dieser Wahl?

Bei den Präsidentschaftswahlen wird es wahrscheinlich eine Stichwahl geben, vorbehaltlich dessen, daß die Wahl anerkannt wird. Wir werden dies aber nicht tun und für den Mai Neuwahlen unter internationaler Kontrolle fordern. Ob wir uns durchsetzen, ist fraglich. Derzeit sieht es so aus, als wenn die Machthaber bleiben. Die serbische Politik wird sich nicht wesentlich ändern mit allen Konsequenzen. Allerdings wird die Lage sich verkomplizieren, da die Opposition im Bundesparlament die Mehrheit hat. Auch im Parlament von Montenegro gibt es eine Anti-Milošević-Mehrheit. So könnte sich da ein Konflikt entwickeln.

Ein Machtkonglomerat also. Kann sich Serbien beziehungsweise Restjugoslawien demnächst so präsentieren, daß eine internationale Intervention in Bosnien- Herzegowina vermieden werden kann?

Es wird eine sehr gefährliche Situation entstehen, die den Krieg auf serbisches Territorium tragen könnte. Es wurden noch nicht alle Waffen eingesetzt, etwa die Raketen, über die die Bundesarmee verfügt. Damit würde der Krieg eskalieren. Wir haben gehofft, durch einen Wahlsieg den Weg für eine friedliche Regelung zu öffnen und Druck auf die serbischen Kräfte in Bosnien ausüben zu können.

Menschenrechtsorganisationen und Journalisten sagen, im serbischen Teil Bosniens seien im Zuge der sogenannten „ethnischen Säuberungen“ vermutlich schon 150.000 Menschen ermordet worden, Zehntausende von Frauen wurden vergewaltigt. Serbien hat durch die Kriegsverbrechen schwere Schuld auf sich geladen. Besitzt Serbien die Kraft, damit fertigzuwerden?

Auch das glaube ich nicht. Dieses Thema wird auch gar nicht diskutiert, denn jeder, der dies in die Öffentlichkeit bringen würde, wäre sofort als Verräter abgestempelt. Die meisten glauben nicht, daß Arkan und Šešelj zu Verbrechen in der Lage wären. Im Gegenteil: die Öffentlichkeit glaubt, daß Serben die Opfer von Aggression der anderen Seite sind. Allein deswegen bräuchten wir erst einmal Pressefreiheit.

Im Vorfeld war gewarnt worden, wenn die Sozialisten und Rechtsradikalen die Wahlen verlieren, käme es zum Bürgerkrieg in Serbien selbst.

Ich habe eher die Gefahr gesehen, daß dann einfach ein genehmes Ergebnis als amtliches Resultat verkündet würde. Die Wahlmanipulationen sprechen für sich. Interview: Erich Rathfelder