: Mit den Wahlen in Serbien wurde Präsident Slobodan Milošević nicht gestürzt. Doch bevor er als Sieger triumphiert, muß er noch eine Stichwahl gewinnen. Die Opposition verlangt schon heute Neuwahlen. Was wird aus Rest-Jugoslawien?
Milošević krallt sich an die Macht
Der Ausgang der Wahlen wirft mehr Fragen auf, als er beantworten kann. Fest stehen nur drei Tatsachen: Die serbische Opposition und Präsidentschaftskandidat Milan Panić haben sich erstens besser geschlagen, als gemeinhin erwartet wurde. Und wäre es nicht zu Wahlmanipulationen gekommen – die festzustehen scheinen –, hätte zweitens der bisherige Präsident Milošević die Wahlen selbst in Serbien schon verloren. Vielleicht muß er jetzt sogar mit einer Stichwahl rechnen.
Aber auch bei einem Sieg in dieser Stichwahl, die am 3. Januar stattfinden soll, wäre dem bisherigen starken Mann Serbiens das Regieren nicht leichter gemacht. Denn es wurde ja nicht nur in Serbien gewählt. Auch die Parlamente der Föderativen Republik Jugoslawien und der Republik Montenegro wurden neu bestimmt. Im Parlament der Föderation, das von den Wählern beider Republiken, Serbien und Montenegro, neu gewählt wurde, wird es zukünftig eine Mehrheit der Opposition geben. Und in Montenegro sind sich alle wichtigen politischen Strömungen einig in ihrer Distanz zum serbischen Präsidenten Milošević. Allerdings ist Montenegro mit seinen gerade einmal 600.000 WählerInnen ein kleiner Staat, der nur schwerlich in der Lage ist, sich der Politik Serbiens zu widersetzen. Und ob die Opposition mit ihrer Mehrheit im Parlament der Föderation den Machtkampf mit dem serbischen Präsidenten Milošević fortzuführen in der Lage ist bleibt ebenfalls fraglich. Denn die Institutionen der Föderation erwiesen sich bisher als Papiertiger. Selbst die Versuche des bisherigen Ministerpräsidenten des Bundes, der jetzt in Serbien als Präsidentschaftskandidat auftretende Milan Panić, waren wenig erfolgreich. Mittels der Institutionen der Föderation konnte die Macht von Milošević bisher nicht erschüttert werden.
Nur wenn die neue Mehrheit in der Föderation die Bundesarmee kontrollieren könnte, hätte die Opposition ein Instrument an der Hand, das Milošević und den mit ihnen verbündeten Rechtsradikalen unter Vojislaw Šešelj gefährlich werden kann. Bisher ist das weder Panić noch dem Präsidenten der Föderation, Dobica Cosić, gelungen. So führt das Wahlergebnis äußerlich mitten in eine neue Unübersichtlichkeit, die alle Möglichkeiten für Ränkespiele offenhält. Das innere Machtgefüge ist noch nicht zerstört, Milošević wird in seinem Aktionsradius jedoch eingegrenzt.
Was wird also aus diesem Serbien, das unter diesen Umständen nicht die Kraft zur Umkehr aufbringen kann? Milan Panić stand und steht für eine Politik, deren Anspruch, den Krieg zu beenden, ernst genommen werden muß – auch wenn es in den letzten Monaten oftmals schien, als decke er mit den Hoffnungen, die er weckte, nur objektiv die aggressive Politik Milošević'. Zwar ist die serbische Opposition nicht frei von nationalistischem Pathos, und manche ihrer Politiker hängen ebenfalls großserbischen Träumen nach. Doch Panić und die wichtigsten Politiker der Opposition wissen nur zu gut, daß die außenpolitische Isolation Serbiens schon mittelfristig in die Niederlage führen wird. Panić, der amerikanische Geschäftsmann, der in vielerlei Weise mit dem amerikanischen Establishment und direkt mit dem Außenminister der USA, Eagleburger, verbunden ist, wird mit der Machtübernahme durch die Clinton-Administration seines wichtigsten politischen Trumpfes beraubt. Denn die Hoffnungen auf eine neue serbische Politik, die gerade angesichts der direkten Verbindung dieser beiden Politiker in den USA genährt wurde, werden nun in Washington sinken. Auch in Westeuropa (selbst in England und Frankreich), wo das Verhältnis zu Serbien zum politischen Prüfstein zwischen den Verbündeten geworden ist, wird angesichts dieses Wahlergebnisses die Neigung sinken, schärfere Maßnahmen gegen die jugo-serbische Armee in Bosnien-Herzegowina und in Kroatien abzublocken. Die Durchsetzung des Flugverbotes über Bosnien-Herzegowina wird damit erleichtert, die Diskussion über eine militärische Intervention wird neue Nahrung finden. Denn selbst in der serbischen Opposition gibt es Stimmen, die einen Machtwechsel und eine Demokratisierung erst dann für möglich halten, wenn serbische Armee und Freischärlerverbände, sich auch militärisch einer Niederlage gegenübersehen. Machten die Oppositionspolitiker ihre Drohung wahr, die Ergebnisse der Wahlen anzufechten, würde dies die Gräben vertiefen. Und dann dürfte es noch nicht einmal zur Stichwahl zwischen Panić und Milošević kommen. Erich Rathfelder
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