piwik no script img

Erfolg für Blockierer

■ BVG betont Versammlungsfreiheit und hob Geldstrafen auf

Karlsruhe (AFP) – Weigern sich Demonstranten, eine von der Polizei aufgelöste Versammlung zu verlassen, können sie im nachhinein nur dann zu Geldbußen verurteilt werden, wenn die Versammlungsauflösung rechtmäßig war. Dies hat das Bundesverfassungsgericht (BVG) in einem am Dienstag in Karlsruhe veröffentlichten Beschluß entschieden. Zur Begründung heißt es, daß die grundgesetzlich geschützte Versammlungsfreiheit es gebiete, „die Ahndung auf die Mißachtung einer rechtmäßigen Auflösungsverfügung“ zu beschränken. (AZ: 1 BvR 88/91 und 1 BvR 576/92).

Die Entscheidung erging aufgrund der Klage zweier Beschwerdeführer, die im Mai 1989 an einer Sitzblockade vor der Eberhard- Finckh-Kaserne im württembergischen Engstingen teilgenommen hatten. Weil sie dem Aufruf der Polizei, die Versammlung aufzulösen, nicht gefolgt waren und von den Kasernentoren weggetragen werden mußten, hatte sie das Amtsgericht Münsingen zu Geldbußen von 80 Mark und 60 Mark verurteilt. Die Amtsrichter hatten sich bei ihrer Entscheidung zwar auf Paragraph 29 des Versammlungsgesetzes berufen. Dort heißt es: „Ordnungswidrig handelt, wer sich trotz Auflösung einer Versammlung durch die zuständige Behörde nicht unverzüglich entfernt.“ Auf eine Prüfung, ob die Auflösungsanordnung der Polizei rechtmäßig war, hatten sie jedoch verzichtet. Die Karlsruher Richter sahen darin eine Gefärdung der Versammlungsfreiheit sowie eine „nicht verfassungskonforme“ Auslegung des Gesetzes und hoben die Urteile auf.

Der Erste Senat betonte ausdrücklich, daß die Versammlungsfreiheit ähnlich wie die Meinungsfreiheit von „grundlegender Bedeutung für die demokratische Ordnung“ sei. Verbot und Auflösung einer Versammlung stellten „intensivste Eingriffe in das Grundrecht“ dar und seien nur zulässig, wenn dies zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist. Zwar müßten Demonstranten eine polizeiliche Auflösungsanordnung ohne unmittelbare Prüfung auf Rechtmäßigkeit „zunächst hinnehmen“. Dies gelte jedoch nicht für die Verhängung von Strafen für die Nichtbefolgung der Anordnung. Denn deren Rechtmäßigkeit könne nachträglich „verbindlich“ festgestellt werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen