: "Politische Wertungen, ganz rechts"
■ Carl von Ossietzky bleibt rechtmäßig verurteilt / Interview mit dem Anwalt der Tochter Ossietzkys, Heinrich Hannover, zum entsprechenden Beschluß des Bundesgerichtshof
taz: Haben Sie den Beschluß des BGH über die Nichtwiederaufnahme des Ossietzky-Verfahrens so erwartet?
Die politische Gesinnung der Richter des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofes kenne ich aus einer Vielzahl von Entscheidungen, insofern habe ich keinen anderen Beschluß erwartet.
Der BGH hat aber juristisch argumentiert...
Im Bereich der politischen Justiz läßt sich jede politische Auffassung juristisch begründen.
Hätte man juristisch begründet anders entscheiden können?
Es ging um die Frage, ob Carl von Ossietzky seinerzeit zu Recht verurteilt worden ist wegen des Verrats militärischer Geheimnisse. Er hatte über die geheimen Aufrüstungen der Reichswehrführung öffentlich berichtet. Wir haben dazu neue Beweismittel vorgebracht: die von Ossietzky zu verantwortenden militärischen Informationen waren dem Ausland bereits bekannt.
Der Bundesgerichtshof hat gesagt: Was 1931 militärischer Geheimnisverrat war, kann 1992 nicht zur demokratischen Pflicht erklärt werden...
... man hat das Gefühl, daß sie mit der Auffassung der Richter von damals sympathisieren.
Sympathisieren? Meinen Sie wirklich?
Ja. Die Herren drücken sich natürlich vorsichtig aus, es läuft aber darauf hinaus.
Gibt es ein Kraut gegen derartige Richtersprüche?
Der Bundesgerichtshof ist letzte Instanz. Es gäbe theoretisch noch die Möglichkeit, eine Verletzung von Grundrechten durch Verfassungsbeschwerde zu rügen, über die dann das Verfassungsgericht zu entscheiden hätte. Die Nachprüfung ist aber verengt auf die Frage einer Grundrechtsverletzung, und es wäre daher zu befürchten, daß praktisch eine Bestätigung des BGH-Beschlusses herauskommen würde. Das wäre ein Ergebnis, das ich nicht für gut halten würde. Ich finde, die Schande dieses Beschlusses soll beim Bundesgerichtshof bleiben.
Die Kinder werden also weiter in der Schule lernen: Daß Carl von Ossietzky verurteilt wurde, ist rechtsstaatlich vollkommen in Ordnung.
Ich hoffe, daß die Kinder in der Schule lernen werden, daß deutsche Juristen Carl von Ossietzky 1931 für eine politische Haltung und ein publizistisches Engagement verurteilt haben, für das ihm 1935 der Friedensnobelpreis verliehen worden ist. Der BGH bekennt sich noch 1992 zu der Auffassung, daß nach der damals vorherrschenden Ansicht das Wohl des Staates darin habe bestehen können, unter Verstoß gegen deutsches und internationales Recht geheime Aufrüstung zu betreiben. Man hat den Kollegen des Reichsgerichts auch zugebilligt, daß sie einen übergesetzlichen Notstand annehmen durften, der die Heeresleitung zum illegalen Aufbau einer Luftwaffe berechtigt. Das sind politische Wertungen, die ganz rechts angesiedelt sind. Man vermißt die Erörterung der Frage, ob es nicht auch damals dem Wohl des Staates entsprochen hätte, wenn die Öffentlichkeit durch kritische Journalisten aufgeklärt worden wäre.
Interview: Klaus Wolschner
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